Mit dem Postbus auf den Cotopaxi

 

Hoch konzentriert versuche ich, eine Spur ohne Schlaglöcher zu finden. Unmöglich! Es scheppert und klappert im Van. Der letzte Teil der mit dem Auto befahrbaren Strasse auf den Vulkan Cotopaxi erinnert mich an eine Motocross-Strecke: schlammig, unzählige Schlaglöcher und Bodenwellen. Der immer dichter werdende Nebel ist auch nicht hilfreich. Aber da müssen wir jetzt durch. Schliesslich haben wir uns vorgenommen, bis zum Parkplatz des Refugios José zu fahren – bis auf 4600 Meter über Meer.

Seit mehr als acht Monaten reisen mein Freund Bryan und ich mit unserem selbst umgebauten Postbus durch Mittel- und Südamerika. Schlechte Strassenverhältnisse sind wir uns gewohnt. Hier in Ecuador kommt aber noch der Faktor Höhe hinzu. Diese macht nicht nur uns zu schaffen. Auch Beat – wie wir unseren Camper nennen – bekommt öfters Mal zu wenig Luft. Davon lassen wir uns aber nicht abschrecken. Denn irgendwie sind wir immer überall hingekommen. Warum also nicht auf einen Vulkan? Oder zumindest so hoch, wie wir auf einer Autostrasse kommen. Der Gipfel auf 5897 Metern Höhe ist nur zu Fuss zu erklimmen.

Ecuador ist von Vulkanen durchzogen. Wer das Land mit dem Auto bereist, findet spektakuläre Strassen, die nahe an den Vulkanen vorbeiführen. Manche reichen bis fast ganz hinauf auf die Gipfel. Auch wenn unser Van keinen Allradantrieb hat und mit seinen mehr als 3 Tonnen Gewicht bei steilen Anstiegen öfters Mal am Limit läuft, lassen wir uns dieses Highlight nicht entgehen.

Um auf den Cotopaxi zu kommen, sind wir am Mittag von unserem Übernachtungsplatz losgefahren. Beim Cotopaxi-Nationalpark-Eingang auf 3300 Höhenmetern angekommen, registrieren wir uns. Der Eintritt ist kostenlos. Die ersten Strassenkilometer ab hier sind geteert und in gutem Zustand. Schnell verwandelt sich die Strecke jedoch in eine Naturstrasse mit Schlaglöchern. Aber kein Problem. Jetzt kommt unsere Kernkompetenz im Slalomfahren zum Zuge. Ich schalte einen Gang runter, reduziere das Tempo. Ein paar Pick-ups und Jeeps überholen uns. Die Insassen werfen uns ungläubige Blicke zu. Mit unserem gelben Bus fallen wir auf.

In der Ferne erblicken wir mehrere Gipfel. Vom Cotopaxi sehen wir nur den Fuss. Der Rest steckt im Nebel. Aber auch die unmittelbare Umgebung ist wunderschön. Farbige Blumen überwuchern die sonst eher karge Landschaft. Und immer wieder spazieren Füchse vor uns über die Strasse. Je höher wir fahren, desto kälter wird es. Zeit, das Fenster zu schliessen. Wir befinden uns bereits auf ungefähr 3500 Metern und haben noch mehr als 1000 Meter Anstieg vor uns.

Mit fortschreitender Höhe wird die Strasse schlechter. Beat kämpft. Mit dem Nebel wirkt die Landschaft noch mystischer. Das wollen wir per Kamera festhalten. Auf einem scheinbar fast ebenen Stück machen wir einen Stopp und schiessen ein Foto. Das war ein Fehler. Als wir weiterfahren wollen, springt der Motor zwar an, er hat aber zu wenig Kraft, um das Fahrzeug fortzubewegen.

So flach, wie es den Anschein machte, war die Stelle dann wohl doch nicht. Wir müssen zurückrollen und Anlauf holen. Das ist alles andere als angenehm, wenn man keine zwei Meter weit sieht. Nach Aufgeben ist uns aber noch nicht zumute. Hastig stelle ich den Warnblinker ein und rolle zurück. Bryan steigt aus und gibt mir Anweisungen. Nach etwa 50 Metern ist der Untergrund zum Glück schon deutlich flacher, das sollte reichen. Mit Schuss bezwingen wir weitere fünf Kurven. Die Geräusche aus unserem «Wohnzimmer» lassen nichts Gutes erahnen. Die hohen Bodenwellen haben zur Folge, dass im Wohnbereich des Campers alles hin- und herfliegt. Später räumen wir auf dem Boden wild verstreute Polster, Schuhe, Muskatnuss und Krimskrams wieder auf.

Entlang der Strasse liegt nun schon Schnee. Das reicht uns. Bei einer grossen Ausweichstelle parkieren wir. Wir haben 4500 Höhenmeter erreicht, ein neuer Rekord für Beat. Das ist, als wären wir mit dem Auto aufs Matterhorn gefahren.

Vom Parkplatz des Refugios aus könnte man eine Wanderung zur Gletscherkante unternehmen, was wir auch so geplant hatten. Wegen des dichten Nebels entscheiden wir uns schweren Herzens dagegen.

Langsam rollen wir wieder hinunter und finden hinter einem kleinen Restaurant am Fusse des Cotopaxi einen komfortablen Parkplatz mit Aussicht für die Nacht. Der Nebel hat sich hier bereits verzogen und Teile des imposanten Vulkans zeigen sich in einer wunderschönen Abendstimmung. Die Sonne drängt sich zwischen dem Nebel hervor und sorgt für ein weiteres Highlight. Ein Regebogen gesellt sich zum Vulkan.

Fröstelnd stehen wir draussen und beobachten dieses Naturspektakel. Wir befinden uns immer noch auf 3850 Metern Höhe und es wird von Minute zu Minute kälter. Es ist höchste Zeit, sich in den Camper zu verkriechen und die Gasheizung anzuwerfen. Wir stellen die Temperatur auf 20 Grad und machen es uns gemütlich. Nach zehn Minuten stellt die Heizung abrupt ab. Auf dem Bediencomputer steht: «Error». Genau jetzt ist uns das Gas ausgegangen. Fluchend wickeln wir uns in die Decken aus Alpakawolle, die wir auf dem Markt gekauft haben. Kein Gas heisst in unserem Fall auch kein warmes Essen. Zum Glück helfen uns Reisefreunde, die auch hier parkiert haben, mit Gas aus. So kommen wir doch noch zu einem leckeren Abendessen.

Dann verkriechen wir uns dick eingepackt ins Bett. Jetzt einfach schnell einschlafen. Einfacher gesagt als getan. Es fühlt sich an, als läge ein Stein auf meiner Lunge. Die Höhe macht mir zu schaffen. Ich wälze mich hin und her, bis ich nach einigen Stunden endlich wegdämmere.

Am nächsten Morgen ist die Sicht klar und wir sehen den Cotopaxi in seiner vollen Pracht. Dafür haben sich die Strapazen gelohnt. Vom Frühstückstisch aus bewundern wir diesen schlafenden Riesen und wärmen uns an der Sonne auf. Ein magischer Moment. So kann unsere Reise weitergehen.

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