Erdnuss macht süchtig

Auf ihrer Reise durch den Senegal will Autorin Claudia Salzmann unbedingt das populäre Gericht Mafé essen. Weil sie immer zu früh oder zu spät dafür kommt, nimmt sie das Schicksal in Cap Skirring im Süden des Landes selbst in die Hand.

Mein erstes Mafé vergesse ich nie. Wir sassen in einem Wohnzimmer in Dakar, der Hauptstadt Senegals. Vor uns eine Schüssel mit Reis, verkochten Karotten, Kartoffeln, Maniok und Rindfleisch. Darüber eine Sauce, die das alles in einer herzerwärmenden Mahlzeit mit vollmundigem Umami-Geschmack vereinte. «Was ist das?», fragte ich meinen Freund Ndiouga. Er grinste. Und sah mir gleich an, dass ich schon süchtig bin. Süchtig nach Mafé, eines der populärsten Gerichte im Senegal. Das Geheimnis ist die Erdnuss, eines der wichtigsten Exportprodukte des westafrikanischen Landes.

Während meiner jetzigen Reise durch den Senegal – wir besuchen den kolonialen Norden, sichten Giraffen, schauen Pelikanen beim Brüten zu, schlafen in der Wüste, schippern durch die Nacht übers Meer in den Süden – gab es bislang kein einziges Mafé zu essen. Es ist wie ein Fluch. Gekocht wird es nur mittags. «Wir haben es gestern gekocht», sagen die einen. «Wir machen es morgen», sagen die anderen. Wir reisen durch die Casamance im Südwesten, die touristisch im Dornröschenschlaf liegt. Dort tun wir es den Senegalesen nach, reden mit jedem, verbreiten gute Laune und zelebrieren den Schlendrian. In Cap Skirring beschränkt sich unser Perimeter von der Strandbar «No Stress» zum Zimmer mit Meerblick. In der Bar frage ich: «Habt ihr Mafé?» Nein, das gab es gestern. War ja klar.

Vor unserem Hotel führt Familie Gueye einen Souvenirladen. Während Malik den Künstler und Ernährer mimt, sitzt seine Frau Sokhna einfach dort. Der Fernseher berieselt sie mit französischen Nachrichten. Fliessendes Wasser gibt es nicht, das Mittagessen bestellen sie. Gegessen wird aus einer grossen Schüssel von Hand. Über ihnen im Baum baumeln Batikkleider, die sie zum Verkauf anbieten. Immer wieder fährt ein Auto vorbei, wirbelt Staub auf, sie heben die Hand und grüssen. Als Zeitvertrieb kocht Sokhna Basilikumtee, die glühende Holzkohle wendet sie von Hand. Ihre Haare hat sie zu kleinen Zöpfchen geflochten.

Beim zweiten Besuch frage ich, ob sie mir das Zubereiten von Mafé zeigen könne. Sie verstehe nur wenig Französisch, sagt ihr Mann Malik. Sie lächelt mich an. Tags darauf gehe ich wieder hin, frage noch mal. «Das dauert aber. Erst nach vier Stunden kannst du essen», sagt er. Ihm passt das nicht, aber ich spüre, dass seine Frau motiviert ist. Er willigt ein, sie bindet sofort ihren 18 Monate alten Sohn auf den Rücken, denn zuerst geht es auf den Markt.

Auf einem Sandweg gelangen wir zur Hauptstrasse. Ich bluffe mit meinen wenigen Wolof-Sätzen, sie lacht schallend. Mir fällt ihre neue Frisur auf, ein moderner Pagenschnitt. Sie winkt ein Buschtaxi heran und erzählt den Mitfahrenden von unserem Vorhaben. Ich verstehe nur Mafé. Alle grölen, alle nicken. Sie verstehen, warum ich das kochen will: Alle lieben Mafé. Im Dorf, das alle nur Cap nennen, besuchen wir Sokhnas jüngeren Bruder, den Metzger. Seine Produktpalette liegt vor ihm auf dem Tresen, an der frischen Luft. Auch die Fliegen schauen sich alles genau an. Von der Decke baumelt ein gehäutetes Schaf. Sokhna bestellt, ich zahle.

Wir gehen weiter. Immer wieder spielt sich das senegalesische Grussritual ab: Salam Aleikum. Aleikum Salam. Gnaga def? Manifi. Gnaga def? Manifi. Hin und her fragen sie, wie es geht. Der Familie? Bei der Arbeit?

Wir betreten den Markt, den ich alleine nicht gefunden hätte. Der Sand am Boden ist festgetreten, der schmale Eingang mündet in einen Hinterhof. Sokhnas Mutter und zwei Schwestern sind da. Wir kaufen Kadi-Bouillon und Essig, den die Schwester in einen Plastiksack abfüllt. Eigentlich wollte Sokhna mich bei ihrer Mutter deponieren. Doch ich will ja mehr über die Zutaten erfahren, so gehe ich mit, um das Geheimnis der Erdnuss endlich zu lüften. Plötzlich habe ich Bedenken, dass dies nicht möglich sein wird, denn eine hellbraune Paste in einer Plastiktüte liegt im Korb. Die Erdnusssauce? «Wau», «Ja», sagt Sokhna.

Wir gehen zum Gemüsestand der anderen Schwester. Auf den ersten Blick scheint alles verfault zu sein. Die Auberginen machen einen himmeltraurigen Eindruck, alles ist lampig, bis auf das Knollengemüse. Genau das kaufen wir: Karotten und Yuca. Und Piment. Ausserdem brauchen wir Holzkohle. Sie bestellt, ich zahle und schleppe den riesigen Sack hinter ihr her. In meinem Hinterkopf drängt sich die Frage auf, welche Bäume für diese Kohlen wohl gefällt wurden.

«Tomato Butik», sagt Sokhna, ihr Sohn baumelt bei jedem Schritt an ihrem Rücken hin und her. Er murrt nicht, obwohl es viel zu murren gäbe. In der «Butik» kaufen wir Reis, den der Verkäufer aus einem grossen Sack abschöpft. Kartoffeln, die auch aus einem Sack kommen. Die Tomaten sind nicht so, wie ich mir das vorgestellt habe, sondern ein Püree aus der Dose. Sie lacht. Ich auch.

Als wir mit den Einkäufen daheim ankommen, nimmt sie ihre Perücke ab und wartet gespannt auf meine Reaktion. Auch wenn wir nur wenige Worte gewechselt haben: So viel gelacht habe ich noch selten mit einer neuen Bekanntschaft. Auch jetzt lachen wir. Sie feuert mit leeren Erdnussschalen ein, legt die Kohlen darauf. Ihr Grill ist eine einfache Blechkonstruktion. Sie rüstet das Gemüse freihändig in der Luft, schliesslich gibt es keinen freien Tisch. Den einzigen Tisch braucht ihr Mann zum Malen. Er übersetzt für mich, was sie tut. Währenddessen zieht er die bereits gezeichneten Bilder nach, unterschreibt sie mit seinem Namen. Schreiben könne er nicht, lesen auch nicht. Sie haben vier Kinder. Sie möchte gerne mehr. Er nicht. «Ich bin der Mann, ich verdiene das Geld, ich befehle», sagt er. Zwei ihrer Töchter sind in der Schule in Touba, wo die Familie im Sommer wohnt, wenn die Touristensaison vorbei ist. Die 11-jährige Ndeye geht hier in Cap Skirring zur Schule und möchte Ärztin werden. Ihre Aufgabe ist es, am Nachmittag auf den kleinen Bruder aufzupassen.

Bis Glut da ist, reinigt Sokhna das Fleisch mit Leitungswasser, das sie beim Nachbarn geholt hat. Wie schon in der Metzgerei stehen mir auch jetzt alle Haare zu Berge. Wenn das bloss gut geht. Sokhna stellt die Pfanne jetzt direkt auf die Glut, brät das Fleisch im heissen Öl an. Ganz scharf, schliesslich kann man diesen Grill nicht regulieren. Dann löscht sie mit dem Wasser ab, das sie im Nachbarhaus geholt hat. Jetzt wirft sie das Gemüse in hohem Bogen hinein. Am Schluss drückt sie die Erdnusssauce aus dem Säckli. Eine grosse Prise Salz dazu, dann rührt sie, bis alles aufgelöst ist. Die Kelle lagert sie in einem Blechbehälter, den sie sofort abdeckt, damit kein Strassenstaub reinkommt. Ordnung muss sein. Das Mafé soll zwei Stunden schmoren, wie ein Ragout. Ich bin froh, so ist sicher jedes Tierchen und jedes Bakterium tot.

Auf meinen Reisen habe ich einige Kochkurse besucht. In Indien habe ich einmal acht Gerichte gekocht und sass erst um Mitternacht am Tisch. Den lieben langen Tag roch es unglaublich fein, aber essen durften die anderen Kursteilnehmer und ich nicht. In Ecuador lernte ich Empanadas backen. Kochkurse gehören nebst Ausflügen und Sightseeing zu meiner touristischen Aktivitätenpalette.

Zum ersten Mal habe ich hier im Senegal einen initiiert. Über den Preis haben wir nicht gesprochen. Fest steht nur, dass das Essen 10 000 CFA, umgerechnet etwa 18 Franken, kosten und für alle reichen wird. «Jetzt musst du mir was abkaufen, wenn wir schon für dich arbeiten müssen», sagt Malik. Ich möchte nichts. Schmunzeln muss ich, als ich höre, wie er seinen Kunden erzählt, dass sein Shop nun auch Kochkurse anbiete.

Während das Mafé brutzelt, vertrödle ich die Zeit mit Müssiggang am Strand. Zur Essenszeit bekommen ich und meine Reisebegleitung alles schön in verschiedenen Schüsseln serviert. Die Sauce, das Gemüse, das Fleisch und der Reis. Da ich schon viel Zeit beim Shop verbracht habe, essen wir im Hotel. Wiederum ist das Gericht ein Gedicht. Das Fleisch ist faserig, aber fein. Das Gemüse hat richtig Gout. Die Erdnussauce ist sämig und rund. Bloss die Rezeptur der Sauce bleibt Sokhnas Geheimnis. Immerhin zwei Ingredienzien kenne ich nun: Liebe und Erdnuss.

Tags darauf besuchen wir die Familie erneut, um Danke zu sagen und zu schwärmen. Malik ist nicht da. Sokhna fragt: «Mafé?» Ich schwärme, wie lecker es war. Sie strahlt. Wir zahlen ihr 5000 CFA, knapp 9 Franken, zusätzlich für ihre Arbeit. Sie schaut die Note ungläubig an und ist sehr stolz. Jetzt hat sie auch einmal Geld für die Familie verdient.

Viel später erfahre ich von senegalesischen Freunden in der Schweiz, dass die Paste im Senegal oft mit Erdnussbutter ersetzt wird. Vielleicht habe ich das Geheimnis jetzt doch noch gelüftet.

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