Delfine im Garten

Mit Delfinen zu schwimmen, ist der Traum vieler Menschen. Leider sind solche faszinierenden Begegnungen mit wilden Delfinen oft recht kurz. Filmemacher Ulf Marquardt hatte das Privileg, Indopazifische Tümmler über Wochen zu begleiten, oft als Teil der Schule. Dabei stellte er fest: Delfine sind mit Abstand die coolsten Typen im Meer.

Ausgabe: 139  Text & Bilder:  Natalia Pryanishnikowa / Angela Ziltener 

«Da sind sie!», ruft Angela Ziltener. Die Schweizer Meeresbiologin ist spezialisiert auf die Delfine im Roten Meer vor Hurghada. Ahmed, der Kapitän unseres Safaribootes, lässt den Motor kurz im Rückwärtsgang aufheulen, um die «Dolphin Dancer» zu stoppen. Ich schnappe meine Unterwasserkamera, lasse mich ins 30 Grad warme, schnapsklare Wasser gleiten und tauche ab.

Zuerst sehe ich gar nichts, nur das von tanzenden Lichtstrahlen schraffierte Tiefblau des Meeres. Aber ich kann hören, wer da kommt. Das Knacken, Schnarren und Quietschen, das sich nähert, ist unverwechselbar. Delfine sind unerwartet schwatzhaft. Und da sind sie auch schon: Zwei Tiere kommen aus dem Blau angeschossen, steuern direkt auf uns zu. Sie stos-sen eine Art Pfiff aus, bevor sie beidrehen und anfangen, uns in rasendem Tempo zu umkreisen – ein liebgewonnenes Begrüssungsritual, mit dem die beiden uns fast jeden Morgen erfreuen. An vernünftige Aufnahmen ist nicht zu denken, zu schnell sausen die Delfine umher. Aber ich mache mir keine Sorgen, meine Chance auf schöne Bilder wird kommen, wie jeden Tag!

Nach ein paar Minuten ist die stürmische Begrüssung vorbei, und die beiden Delfine schwimmen wieder ihrer Wege. Aber das ist nicht das Ende unserer Begegnung, denn unserer Gruppe, bestehend aus Tauchguides, Meeresbiologinnen und mir, erlauben die Delfine etwas ganz Besonderes: Wir dürfen sie begleiten. Sie gestatten grosszügig, dass wir uns ihnen anschliessen, tauchend, und gewissermassen an ihrem Familienleben teilhaben. Das machen wir nun schon seit ein paar Wochen so, fast jeden Tag, und wir haben in dieser Zeit bislang unbekannte Aspekte des Delfinlebens hautnah beobachten dürfen.

Okay, ich muss selbst zugeben: Sehr glaubhaft klingt das alles nicht, eher wie fantastisches Seemannsgarn. Und doch ist jedes Wort wahr.

Fischkutter

Die ersten Delfine, denen ich in meinem Leben begegnet bin, begleiteten einen Fischkutter vor den Azoren. Mehr als 20 Jahre ist das nun schon her. Über die wilde Natur der Azoren kann man gar nicht genug schwärmen. Wo sonst in Europa kann man die mächtige Schwanzfluke eines riesigen Pottwals vor der imposanten Silhouette eines aktiven Vulkans abtauchen sehen? Mein Kamerateam und ich fuhren mit dem Fischkutter Espadim auf den Atlantik hinaus, um für ein Umweltmagazin zu filmen, wie man auf den Azoren Thunfische fängt – delfinfreundlich und nachhaltig mit Angeln.

Ein beeindruckender, anstrengender Drehtag lag hinter uns. Stundenlang hatten wir uns vor schweren Thunfischen geduckt, die von den Fischer mit Schwung aus dem Wasser geschleudert wurden. Wir waren heilfroh, als der Kapitän das Schiff wendete und den Heimathafen Horta ansteuerte. Am Horizont erhob sich der mächtige Kegelvulkan Pico aus dem Meer, und die untergehende Sonne tauchte alles in warmes Licht. Wir betteten unsere müden Knochen auf Matratzen aus zusammengerollten Schiffstauen. Eine wunderbare Postkarten-idylle zum Feierabend.

Und dann zeigte der Atlantik, dass er noch mehr Attraktionen auf Lager hat: In den Schaumkronen der golden glitzernden Bugwellen tauchten plötzlich massige glänzend graue Körper auf – Grosse Tümmler! Es war ein Bild zum Niederknien: Delfine, die anscheinend gut gelaunt und spielerisch im Wasser herumtoben. Die untergehende Sonne glitzert auf der Gischt. Es waren wohl zehn, fünfzehn Tiere, die den Kutter begleiteten. Mein Team und ich waren hingerissen.

Die Besatzung beendete allerdings die Romantik: Mitten in die goldenen Wellen hinein, zwischen die glücklich scheinenden Tümmler, schütteten die Männer ihre Mülltonnen aus, eine nach der anderen, randvoll mit Essensresten, stinkenden Beifang-Kadavern, Plastikabfällen, Ölkanistern, verhedderten Angelschnüren, zerfetzten Resten von Netzen. Im Hafen kostet die Abfallentsorgung Geld. Auf dem offenen Meer ist sie gratis.

An jenem Abend entdeckte ich eine Art Naturgesetz, das sich wie ein roter Faden durch die nächsten Jahrzehnte meiner Arbeit als Filmemacher ziehen sollte: An einem besonders schönen Ort oder in einem Moment voller Glück über die prachtvolle Natur ist oft der Idiot nicht weit, der alles kaputtmacht.

Ausflugsboot

Allerdings nicht im Roten Meer. Hier scheint das Glück vollkommen: Die Delfine, die uns so überschwänglich empfangen haben, entpuppen sich als die Shams-Gruppe. Shams ist ein starkes, ausgewachsenes Männchen und wird häufig von seinen besten Kumpeln begleitet: fünf ebenfalls sehr kräftigen Junggesellen. Best buddies forever. Die sechs Delfine finden nichts dabei, dass wir sie begleiten. Sie nehmen uns sogar in ihre Mitte auf, als wären wir Delfine unter Delfinen. Sie schwimmen nicht sehr schnell, sodass wir gut mit ihnen Schritt halten können. Und sie tauchen nicht tief, sondern bleiben nah an der Oberfläche.

Etwa vier, fünf Meter über uns erscheint plötzlich ein grosser, dunkler Schatten: ein Ausflugsboot. Es ist nicht zufällig hier. Der Kapitän hat den Delfinen den Weg abgeschnitten, und das Schiff spuckt nun eine vielköpfige Schar von strampelnden Touristen mit Schwimmwesten und Schnorchelmasken ins Meer. Davon halten die Delfine gar nichts, sie tauchen ab, um den Touristen aus dem Weg zu gehen. Wir hinterher.

Bisher waren die Tauchgänge mit den Delfinen nie sehr tief, 13, 14 Meter höchstens. Aber diese Tiefe ist bald unterschritten, wir tauchen, im Schlepptau der Shams-Gruppe, auf 16, 17, 18 Meter… wo führen uns die Delfine hin? 300 Meter Tiefe sollen sie schaffen können.

«Wir begleiten sie… wir folgen ihnen… sie nehmen uns in ihre Mitte auf…»: Das klingt alles so einfach, aber natürlich ist es das nicht. Delfine bewegen sich im Wasser derart mühelos, dass sie sogar im Schlaf schneller schwimmen als jeder Mensch. Über längere Zeit ist es völlig unmöglich, es als Schwimmer oder Taucher mit ihnen aufzunehmen. Es sei denn, man hat sich von Michael Stadermann zeigen lassen, wie es geht. Micha, Tauchbasisbesitzer und Tauchlehrer, hat eine ganz besondere Beziehung zu den Delfinen von Hurghada. «Ich war der Erste, der mit ihnen tauchen durfte», erzählt er. «Eigentlich hassen Delfine Taucher.»

Es gibt einige Theorien, warum Delfine etwas gegen Taucher haben. Eine besagt, dass die Blasenwolken, die ein Taucher ausstösst, für Delfine wie ein heftiges Blitzlichtgewitter wirken und ihre Sonare stören. Michael ist aber so oft mit ihnen unter Wasser zusammen, dass sie sich an seine Atemwolken gewöhnt haben – und an seinen Gesang. Denn Michael singt ihnen ständig etwas vor! «Ich weiss nicht, ob es etwas bringt», meint er, «aber die kommunizieren ja untereinander auch ständig mit irgendwelchen Tönen. Wenn sie also meinen Gesang hören, dann wissen sie vielleicht, dass ich in der Nähe bin.»

Wolke

Im Laufe der Zeit hat Michael sogar einen eigenen Tauchstil entwickelt. Er erinnert an die Butterfly-Schwimmart, allerdings ohne das heftige Schleudern der Arme. Vielmehr versetzt man den Körper in eine wellenartige Bewegung und stösst sich gleichzeitig mit beiden Flossen kräftig ab. Auf diese Weise ist ein Taucher in der Lage, wie ein Delfin kraftsparend schnell lange Strecken zurückzulegen. Als Michael mir grinsend spezielle ultralange Flossen ausleiht, komme ich mir unter Wasser vor wie die Comicfigur The Flash.

Shams und seine Kumpel ducken sich noch immer von den Schnorchlern weg. 19, 20, 21 Meter. Das Wasser des Roten Meeres wird bereits etwas dunkler. Ich sehe Michael vor mir, der einiges an Vorsprung hatte. Jetzt hat er gestoppt, um etwas Wertvolles einzusammeln: Shams hat eine Wolke hellen Kots hinterlassen, und Michael bugsiert die grössten Bröckchen vorsichtig in ein Probenröhrchen. Ein wert­voller wissenschaftlicher Schatz! Er nickt mir fröhlich zu, als ich an ihm vorbeizische. 23, 24 Meter… Mein Tiefenmesser zeigt 27 Meter, als Shams und Co. den Abstieg stoppen. Na endlich! Ein Taucher mit Pressluftflasche kann auf 40 Meter absinken, aber wir machen an manchen Tagen fünf, sechs anstrengende Tauchgänge. Da sollte man es mit der Tiefe nicht übertreiben. Unsere Hurghada-Delfine jagen derweil unter anderem Kalmare in einem Tiefseebecken, das für uns unerreichbar ist. Sie fressen nachts, in der Dunkelheit.

Trotzdem habe ich schon einmal die Jagd der Delfine gefilmt – und natürlich haben mich ihre Geschicklichkeit, Klugheit und Raffinesse schwer beeindruckt. Bei Dreharbeiten zu einem Filmporträt des Tauchpioniers Jacques-Yves Cousteau lernte ich in Florida Stacy und Mike Dunn kennen. Die beiden sind grundsympathisch, bieten Ökobootstouren an und wissen unglaublich viel über die Natur in ihrer Heimat. Sie kennen praktisch jeden Fischadler mit Vornamen. Ihre Lieblingstiere sind allerdings die Seekühe, und Seekühe in Not zu retten, ist ihre Leidenschaft.

Über den Autor

Ulf Marquardt (57) lebt in Pulheim in Nordrhein-Westfalen. Er ist leidenschaftlicher Filmemacher, seit 2006 auch unter Wasser. Ulf produziert hauptsächlich Reise-, Wissenschafts- und Naturdokumentationen. Seine Arbeit führte ihn schon an viele schöne Ecken der Welt, und daraus schöpft er seine Motivation: «Man muss den Menschen möglichst viele grossartige Orte zeigen», sagt er. «Nicht, um sie dort hinzulocken, sondern um zu zeigen, dass die Erde ein schützenswerter Planet ist.»

www.ulf-marquardt.de/

Wie geht die Geschichte weiter? Ulf begegnet weiteren Delfingruppen und entdeckt, dass auch Delfine gerne Fussball spielen – mit einem Kugelfisch. Dies und so manch andere Überraschung erlebt Ulf beim Schwimmen mit seinen Delfinen im Roten Meer.

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