Kleines Hongkong

Durch meinen Arbeitgeber erhielt ich die Chance für drei Monate in Hongkong zu arbeiten und zu wohnen. Nach einigen Geschäftsreisen hatte ich zwar zwar schon einen Eindruck der Stadt, doch eben nicht mehr. Nun bot sich mir endlich die Gelegenheit, tiefer in die Sonderverwaltungszone der Republik China einzutauchen und mehr über deren Einwohner zu erfahren.

Die Möglichkeiten, in der Metropole Geld auszugeben und in der Konsumwelt zu versinken, sind grenzenlos. Man sagt sogar, dass Shopping die einzig wahre Religion der Hongkong-Chinesen sei. Die Stadt mit den meisten Wolkenkratzern der Welt ist dank tiefer Steuern und der strategisch günstigen Lage ein Magnet für Investoren und kreative Köpfe. Schaut man etwas genauer hin, wird schnell klar, dass Hongkong voller Kontraste ist und weit mehr als Luxuslabels und Rooftop-Bars zu bieten hat.

Von den 1100 Quadratkilometern Gesamtfläche der Metropole ist lediglich ein Viertel bebaut, was an dem bergigen Relief mit vielen steilen Hängen liegt. Dazu kommen 263 Inseln, was die Stadt zu einer der grünsten Metropolen Asiens und zum Paradies für Wanderbegeisterte macht.

Die begrenzte Baufläche führt dazu, dass immer weiter in die Höhe gebaut wird und die Wohnungen winzig klein sind. Der Quadratmeterpreis für Wohnfläche stellt alle anderen Metropolen in den Schatten. Viele Bewohner, vor allem die jüngere Generation, sind verzweifelt und perspektivlos. Denn es ist schwierig, sich zu entwickeln und selbständig zu werden, wenn es keinen Raum dafür gibt. In Hongkong ist es nicht ungewöhnlich, dass eine vierköpfige Familie auf 30 Quadratmetern zurechtkommen muss.
Und von den ca. 7.5 Millionen Bewohnern der Stadt lebt über eine Million unterhalb der Armutsgrenze. Viele von ihnen sind sogenannte «Cage-» oder «Coffin-People» – Menschen, die in Wohnungen oder auf den Dächern von Hochhäusern in wenigen Quadratmeter grossen Verschlägen unter menschenunwürdigen Bedingungen leben.

Die engen Wohnverhältnisse führen auch dazu, dass die Wäsche am Strassenrand oder auf dem Spielplatz zum Trocknen aufgehängt wird oder man sich trotz der Hitze und oft unangenehm hoher Luftfeuchtigkeit eher auf einer Parkbank zum Plaudern trifft, als in der heimischen Stube.

Die Menschenmenge, der Lärmpegel und die verschiedenen Facetten der Stadt überwältigen und ermüden mich auch oft. Fahre ich zum Beispiel nach einer Entdeckungstour durch die Strassen des Viertels Sham Shui Pos, mit der Metro nach Hongkong Island wo ich dann inmitten schicker Cafes und Malls lande, dann fällt es mir schwer zu glauben, dass dies immer noch die gleiche Stadt ist.
Aber genau das ist es auch, was sie so besonders macht. Hongkong besinnt sich trotz oder wegen seiner Modernität auch auf seine Traditionen. Es ist schön und beruhigend zugleich, wenn nach all den Malls wie aus dem Nichts ein Tempel auftaucht. Ein Ort, wo die Menschen in sich kehren und zur Ruhe kommen können. Oft war ich von dem ganzen Jubel und Trubel fix und fertig und genau in dem Moment erscheint ein kleiner Park, eine Oase zum Durchatmen. Zeit, um den Kindern beim Spielen zuzusehen, die Kunst des Tai-Chi zu beobachten oder einfach nur dem Gezwitscher der Vögel zu lauschen.

«Der duftende Hafen», wie Hongkong übersetzt heisst, überrascht immer wieder aufs Neue. In einer Stadt, wo der Verschleiss von Plastiksäcken und Einweggeschirr katastrophal hoch ist, gibt es beispielsweise immer noch einen Mann, der ausschliesslich Schirme repariert. Obwohl hier die höchsten Gebäude der Welt stehen, werden immer noch Baugerüste aus Bambusstangen konstruiert. Trotz lkea gibt es immer noch Künstler, die von Hand Porzellan im chinesischen Stil bemalen.
Irgendwie schafft es die Stadt am südchinesischen Meer, einer der wichtigsten Finanzmärkte der Welt zu sein, Investoren aus zig Ländern anzuziehen, jeden erdenklichen Luxus im Angebot zu haben, aber trotzdem traditionell zu bleiben – und genau dafür liebe ich diese Stadt.

Die Metropole ist voller Kontraste und beeindruckender Menschen, die trotz den schwierigen und beengenden Verhältnissen immer wieder einen Weg finden, ihr Leben zu meistern und die Hoffnung nicht zu verlieren. Aber was bleibt ihnen auch anderes übrig?

Meine Zeit in Hongkong neigt sich dem Ende zu, aber ich freue mich schon jetzt darauf, hierher zurückzukehren, um die Menschen auf den Plastikstühlen der Strassenküchen oder in den Tempeln zu beobachten sowie neue trendige Cafés oder Streetart zu entdecken.

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