Mit chilenischen Gauchos auf Skitour

Auf der anderen Seite des Flusses locken die Traumhänge des aktiven Vulkans San Pablo. Die Pferde würden hier ohne Zögern durch das eiskalte Wasser waten. Sie und unsere Guides, die Gauchos Danilo und Carlos, sind aber weiter unten geblieben, da der Aufstieg im Schnee zu anstrengend wurde für die Tiere. Sollen wir es wagen, und mit den Skischuhen über die glitschigen Steine balancieren? Nein, das könnte mit einem Sturz ins Wasser enden. Das wollen wir nicht riskieren. Es ist schwierig genug, jeweils am Abend nach einer Tour die Innenschuhe und Felle am Lagerfeuer zu trocknen. So gibt es halt jetzt nur eine kurze Abfahrt zurück zu Danilo und Carlos, dafür durch besten Frühlingsschnee. Mit gros­sem Applaus werden wir in Empfang genommen.
Die nur kurze Abfahrt lässt Zeit für ein spassiges Abenteuer. Unsere Pferdeguides sind keine Skifahrer – nichtsdestotrotz sind aber jetzt sie an der Reihe. Bereits das Anziehen der ausgeliehenen Skischuhe und die ersten Schritte damit erzeugen grosses Gelächter. Stolz tragen sie die Ski den kleinen Hügel hoch. Sogar die Pferde unterbrechen das Grasen und schauen neugierig zu. Danilo ist nicht zu bremsen und will noch ein paar Meter weiter hoch. Wackelig stehen die beiden Cowboys das erste Mal in ihrem Leben auf Ski. Zweifel kommen auf, und Danilo bereut die zusätzlich aufgestiegenen Meter. Wir zeigen ihnen den Pflug, und sie hängen sich hinter uns ein. Gemeinsam schaffen wir es, den Hügel mit ein paar Kurven runterzufahren. Schon nach der ersten Abfahrt wollen sie es alleine versuchen. Ohne unsere Hilfe geht es dann nicht so einfach, aber sie geben nicht auf, bis sie den Hang ohne Sturz meistern.

Ich kenne Danilo schon lange, und seit einer Reise vor zwei Jahren haben wir von diesem gemeinsamen Skitourenabenteuer geträumt. Damals, an einem Lagerfeuer in den chilenischen Voranden, entstand der abenteuerliche Plan, in die Anden zu reiten und die Ski mitzunehmen.
Drei Tage ist es nun her, seit wir bei warmem Frühlingswetter im Meladotal, 300 Kilometer südlich von Santiago, losgeritten sind. Nachdem ein unerwarteter Schneefall uns, die Pferde und das Tal weiss überzuckert hatte, haben wir nahe der argentinischen Grenze unsere Lager in einer Höhle aufgeschlagen. Hier sind die Zelte im Trockenen, und es ist eine einfache Outdoorküche vorhanden. Es ist ein Sommerlager der hiesigen Bauern, ihrer Ziegen und Pferde. Daher ist auch ein einfaches Gehege für die Pferde vorhanden. Dies nutzen unsere Gauchos, um uns vier Schweizer in Pferdedressur nach Monty Roberts zu unterrichten. Danilo zeigt uns, wie wir das Pferd zuerst erschrecken und wegjagen müssen, um seinen Respekt zu erlangen. Wir sind erstaunt und fasziniert, dass uns Carlos halbwilder Hengst nach kurzer Zeit hinterherläuft und sich sogar satteln lässt. Ihn zu reiten, traut sich trotzdem keiner von uns. Das überlassen wir dann doch lieber den Profis.
Bei einem «Vino caliente», einem Glühwein am Lagerfeuer, lassen wir diesen schönen Tag mit vielen gewonnenen Eindrücken ausklingen. Obwohl unsere Gauchos kein Englisch und die meisten von uns kein Spanisch sprechen, verstehen wir uns einwandfrei.

Ein neuer Tag bricht an, schon sind die ersten Sonnenstrahlen zu sehen, und trotzdem ist es bitterkalt. Die Bereitschaft, den warmen Schlafsack und das Zelt zu verlassen, hält sich in Grenzen. Doch dann meldet sich unser Gewissen. Danilo und Carlos haben bereits das Feuer entfacht und die Pferde und Mulis von der Weide geholt. Auch heisses Wasser steht schon für uns bereit.
Nachdem wir all unser Gepäck und die Ski auf die Maultiere gepackt haben, ziehen wir weiter ins nächste Tal hinein. Der Ritt zu unserer neuen Höhle dauert nur zwei Stunden, führt jedoch durch reissende Flüsse, was Cachupin, eines der Tiere, ein wenig störrisch werden lässt. Wir kriegen nasse Füsse, kommen aber alle heil am anderen Ufer an.
Zwei unserer Lasttiere dürfen mit einem Teil des Gepäcks im neuen Zuhause bleiben. Panchito, das gutmütigste Muli, muss mit unserer Skiausrüstung jedoch weiter aufsteigen. Obwohl ihn die merkwürdige Last ständig an den Ohren kitzelt, wirft er sie nicht ab. Er folgt uns und unseren Pferden treu den steilen Berg hoch, bis wir im Schnee stecken bleiben. Danilo und Carlos wollten uns unbedingt einen Pferdeskilift ermöglichen. Wir fühlen uns jedoch in diesem Gelände definitiv wohler auf den Ski als auf dem Pferderücken. Mit den Fellen steigen wir auf zum Grat und haben schon bald einen kleinen Vorgipfel erreicht. Weiterzugehen, ist uns wegen der Triebschneeansammlungen zu heikel. Wir geniessen den tollen Ausblick auf das Tal und die gegenüberliegenden weissen Hänge. Von hier bietet sich eine gute Möglichkeit, die Route für die morgige Skitour zu planen. Wir haben keine Landkarte von diesem Gebiet und sind immer wieder gespannt, was uns erwartet. Danilo ist unser Kompass – er kennt die Gegend in- und auswendig. Auf den Skitouren sind wir aber alleine unterwegs und wollen nichts riskieren. Ein Unfall hier in der Wildnis, fernab jeglicher Zivilisation, könnte schlimme Folgen haben. An unseren Cowboys vorbei kurven wir ins Tal.
Auf dem Rückweg ins Zeltlager sammeln wir Holz, um «Tortas» zu backen, das leckere Gauchobrot. Mehl, Salz, Trockenhefe und Wasser ergeben den Teig für die Fladen, welche anschliessend im heissen Öl gebacken und mit Marmelade gegessen werden. Chilenische Berliner!

Schon bricht unser letzter Skitourentag an. Heute binden wir die Ski auf unsere Rucksäcke und gehen zu Fuss los. Schon bald erreichen wir die Schneegrenze und können auffellen. Drei Stunden später werden wir von Kondoren auf dem Grat begrüsst. Sie scheinen keine Angst vor Menschen zu haben und kreisen nur wenige Meter über unseren Köpfen. Wir sind total begeistert, die grössten fliegenden Vögel so nah zu erleben.
Das Fahrvergnügen hält sich heute in Grenzen, die traumhafte Landschaft und Aussicht entschädigt jedoch für alle Mühen. Kaum ist unser Camp in Sichtweite, sehen wir Carlos in die Höhle eilen. Er hat uns ein Mittagessen versprochen. Von den leckeren Spaghetti aus dem grossen Topf ist schon bald nichts mehr übrig.
Anschliessend besuchen wir bei einem kurzen Ausritt einen Freund unserer Gauchos. Dieser hat vor ein paar Tagen mit Hunderten von Ziegen sein Sommerlager bezogen. Weil in diesen Tagen die Zicklein zur Welt kommen, konnte er nicht länger unten im Meladotal bleiben. Der Marsch wäre für die Kleinen zu weit gewesen. Der erneute Kälteeinbruch wird jedoch für viele Jungtiere zum Überlebenskampf. Das Gemecker der wenige Stunden alten Ziegen, die auf der Suche nach ihrer Mutter sind, ist herzzerreissend. Als sie sich vor Kälte und aus lauter Verzweiflung an unsere Beine schmiegen, fällt es uns schwer, sie nicht in unsere Ponchos einzupacken.

Ein letzter langer Ritt steht uns bevor. Nach mehreren Stunden im Sattel erreichen wir einen wunderschönen Platz in der Nähe der «Aguas calientes», der natürlichen heissen Quellen. Nach einer Woche ohne Dusche geniessen wir ein entspannendes Bad in den warmen Pools. Mit dem Pferdetaxi lassen wir uns über den Fluss zurück zum Camp bringen, wo wir bei Älplermagronen und chilenischem Wein den letzten gemeinsamen Abend geniessen.
Nach acht abenteuerlichen Tagen erreichen wir wieder unseren Ausgangspunkt im Meladotal. Auf den letzten Kilometern reitet jeder von uns schweigend und in Gedanken verloren vor sich hin. Der Abschied von unseren Gauchos fällt allen sehr schwer, und es glitzern einige Tränen unter den Sonnenbrillen hervor. Die gemeinsamen Erlebnisse in dieser atemberaubenden Bergwelt bei Schnee, Sonne, Wind und Kälte haben uns so richtig zusammengeschweisst.

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