Fotorausch auf Bali

Bali war nie ein Wunschziel von uns. Als Steffi und ich unsere Weltreise planten, hörten wir jedoch von Freunden und Bekannten so viel Gutes über die Götterinsel, dass unsere Neugierde dann doch geweckt wurde. Da unsere Reiseroute ohnehin nahe an der indonesischen Insel vorbeiführte, beschlossen wir schliesslich, einen Stopp einzulegen.

So landen wir im November 2017 in Denpasar. Wir haben uns mit einem Freund aus der Schweiz verabredet, der zur selben Zeit auf der Insel ist. Gemeinsam wollen wir die Zeit nutzen, um die vielen Tempel, die typischen Reisfelder und die wunderbare Natur auf Bali zu erkunden. Und um unserer gemeinsamen Passion, dem Fotografieren, nachzugehen. Das Hobby kann zu einer Sucht werden – die Sucht nach dem perfekten Bild. Ist man voll im Element, kann man sich kaum mehr losreissen und ist bereit, für ein spezielles Bild einigen Aufwand zu betreiben.

Für eine gute geografische Ausgangslage quartieren wir uns in Ubud, einer Kleinstadt im balinesischen Hochland, ein. Wir wohnen in einem hübschen Haus, abseits der belebten Hauptstrasse. Das Haus ist grosszügig ausgestattet, geduscht wird unter freiem Himmel.
Sogleich machen wir uns auf, einen Fahrer zu suchen, der die nächste Zeit mit uns zusammen auf Fotojagd gehen soll. Die Suche dauert nicht lange. Wir treffen auf Andy, einen jungen Balinesen, der sich bereit erklärt, auch in Allerherrgottsfrühe mit uns aufzubrechen. Denn hier herrscht aktuell Regenzeit, was bedeutet, dass es am Nachmittag meistens regnet. Dementsprechend gestalten wir die Tage: Sonnenuntergänge werden wir wohl kaum bestaunen können, dafür hoffen wir auf reizvolle Sonnenaufgänge.

Schon am zweiten Tag geht es los: Wir starten um vier Uhr, damit wir vor Sonnenaufgang am Ziel eintreffen. Das wird sich auch die kommenden Tage bewähren. So können wir wunderbare Fotos schiessen und haben auch beliebte Touristenspots wie die beiden Tempel Pura Tanah Lot und Pura Ulun Danu Bratan praktisch für uns alleine. Die Tage sind gefüllt mit dem Aufsuchen toller Fotolocations, Sujets ins rechte Bild rücken und am Nachmittag Entspannen in unserer «Base» in Ubud.

Eigentlich wollten wir zwei Wochen auf der Insel bleiben. Weil unsere Drohne aber einen Defekt aufweist, ziehen wir den Weiterflug nach Kuala Lumpur nun um vier Tage vor, damit wir dort ausreichend Zeit haben, um die Drohne reparieren zu lassen. So rückt der letzte Tag auf Bali schneller näher als gehofft. Um alles rauszuholen, brechen wir auch heute, am Abreisetag, im Dunkeln auf, damit wir noch einmal einen Sonnenaufgang auf der Insel erleben können. Ziel unseres letzten Shootings ist die Region rund um den Vulkan Agung. Unwissend, dass der Vulkan am Vortag starke Aktivitäten zeigte und den Flugverkehr in Denpasar durcheinanderbrachte, fahren wir los. Zwar war der Agung schon Wochen zuvor wegen einer hohen Aktivität in den Schlagzeilen, das schien uns aber ein kleines Risiko.

Für eine gute fotografische Perspektive steuert Andy einen seiner Lieblingsspots an. Von der Anhöhe aus hat man einen wunderbaren Blick auf verschiedene Berge, darunter auch auf den bei Touristen sehr beliebten Vulkan Gunung Batur. Auch der Gunung Agung ist an diesem herrlichen Morgen sehr schön zu sehen. Es ist kurz vor der blauen Stunde und noch relativ kühl. Im Tal liegen Nebelschwaden. Die vereinzelten Lichter der weit entfernten Häuser wirken wie kleine Spotlights. Es ist eine malerische Szenerie und einer dieser magischen Fotomomente. Wir zücken unsere Kameras und legen los. Ausser dem Klicken der Auslöser und Vogelgezwitscher – quasi «real Tweets» – ist nichts zu hören.
Als es heller wird, sehe ich in der Ferne ein wenig Rauch über dem Agung und frage Andy, ob dies normal sei. Kühl meint er: «Nein, normal ist das nicht. Der Vulkan könnte bald ausbrechen.» Es herrscht aber eine derart friedliche Stimmung, dass uns ein Ausbruch jetzt undenkbar scheint. Ohne uns weiter darüber zu sorgen, fotografieren wir weiter, besuchen anschliessend einen Elefantenpark und machen uns dann auf den Rückweg nach Ubud.

Zum Lunch kehren wir in ein Restaurant ein. Plötzlich schaut Andy von seinem Smartphone auf und fragt uns, ob wir für den Flug am Abend schon eingecheckt hätten. Das haben wir. Und es hat problemlos geklappt. «Wieso?», wollen wir von Andy wissen. «Der Agung hatte mehrere Eruptionen und viele Flüge wurden bereits gestrichen. Wir müssen sofort zum Flughafen, wenn ihr eine Chance haben wollt, noch von Bali wegzukommen», sagt Andy. Sein Ausdruck ist ernst. Wir glauben sogar einen Anflug von Sorge in seinem Gesicht zu erkennen. So haben wir ihn noch nie gesehen. Die Lage ist wohl ernst. Also holen wir unser Gepäck. Auf dem Weg zur Unterkunft treffen wir auf eine traditionelle balinesische Zeremonie, an der auch unser Vermieter teilnimmt. Er berichtet, dass ein Freund von ihm bereits seit gestern am Flughafen festsitzt und nicht aus Denpasar wegkommt.

Später lesen wir, dass die Balinesen die Eruptionen von Gunung Agung auf erzürnte Geister zurückführen und diese mittels Zeremonien beruhigt werden sollen. Auch respektlose Touristen sollen Mitschuld an der Situation am Vulkan haben. Denn es würden immer wieder heilige Orte betreten und dadurch entweiht. Das stimmt uns nachdenklich.

Andy bringt uns so schnell wie möglich zum Flughafen, wo wir uns verabschieden. Ein Abschied, der für niemanden von uns leicht zu sein scheint, alle haben Tränen in den Augen. Die gemeinsame Zeit hat uns zusammengeschweisst, es ist eine neue Freundschaft entstanden. Deshalb fühlt es sich irgendwie falsch an, zu gehen und Andy zurückzulassen. Wir drücken unseren balinesischen Freund nochmals herzlich und begeben uns wie in Trance auf den Weg zum Terminal. Die Situation am Flughafen ist chaotisch. Hektisch wuseln überall Touristen umher, auch die Presse ist vor Ort. Verlässliche Informationen zu den Flügen sind nur schwer zu bekommen. Wir werden mehrmals angesprochen, auch von Reportern. Die Menschen wollen neue Infos. Aus welcher Quelle die stammen, scheint zweitrangig.
Trotzdem läuft es für uns bisher reibungslos. Das Gepäck ist schnell aufgegeben, ohne langes Anstehen. Anschliessend lassen wir das übliche Prozedere der Sicherheitskontrolle über uns ergehen und laufen zum Gate, das schon recht voll ist mit anderen Touristen. Die Airlines lassen sich bis wenige Minuten vor Abflug Zeit mit der Entscheidung, ob sie fliegen oder nicht. Für uns heisst das warten und hoffen. Wir bangen ein wenig, zur geplanten Abflugzeit steht noch immer kein Flugzeug am Gate. Steffi nutzt die Wartezeit, um ihre Familie anzurufen, die sich schon Sorgen macht. 40 Minuten später als vorgesehen geht es weiter, wir können boarden.

Im Flieger ist die Stimmung angespannt. Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Der Pilot rollt direkt nach dem Pushback in Richtung Startbahn los, beschleunigt, zieht den Vogel hoch. Noch während wir in der Luft sind, annulliert Malaysia Airlines alle Flüge ab Denpasar für unbestimmte Zeit. Und wir kommen wegen eines Drohnendefekts mit dem letzten Malaysia-Airlines-Flug von Bali weg. Wer hätte das gedacht?
Unter uns wird Bali immer kleiner. Was bleibt, sind viele schöne Erlebnisse, wunderbare Bilder und eine neue Freundschaft. Ich bin überwältigt von der Situation. Als ich aus dem Fenster schaue und das letzte Mal meinen Blick über die Insel schweifen lasse, kullern mir Tränen über die Wangen. Steffi greift meine Hand. Wir blicken uns an, nicken, sagen aber kein Wort. Ich denke an die vielen Menschen auf Bali und hoffe, dass sich der Gunung Agung beruhigen wird. Einmal mehr wird mir bewusst, wie intensiv solche Reisen sein können – und wie wunderschön.

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