«Mich in Orte verlieben – das tue ich immer wieder»

In der Rubrik «Check-in» beantworten Persönlichkeiten aus Kultur, Politik, Wissenschaft und Sport in jeder Ausgabe zwölf etwas andere Reisefragen. Im aktuellen Globetrotter-Magazin befragen wir Bänz Friedli, Autor und Kabarettist.

Ausgabe: 142 

 

1. Welche drei Adjektive charakterisieren dich als Reisenden am besten?

Es sind eher Verben: schlendern, Gerüche und Stimmungen aufsaugen, mich auf Landschaften und Menschen einlassen. Mich in Orte verlieben – das tue ich immer wieder. Und später suche ich das Vertraute im Exotischen, indem ich dorthin zurückkehre, wo ich schon war.

2. Was war deine eindrücklichste Begegnung auf Reisen?

Das war die mit Etta Baker. In ihrer Stube in Morganton, North Carolina, spielte uns die damals 92-jährige Bluesmusikerin auf ihrer Gibson Electric vor. Etta beherrschte das «Southern Finger Picking», eine von ihr entwickelte Gitarren­technik, immer noch stupend. Trotz ihrem schwierigen Leben hatte sich die Frau mit afrikanischen und indianischen Wurzeln so viel Heiterkeit bewahrt!

3. Was kann dich auf Reisen aus der Fassung bringen?

Dass es oft das Falscheste ist, die Fassung zu verlieren, habe ich im Umgang mit Zöllnern in Nepal und mit US-amerikanischen Einreisebeamten gelernt. Geduld. Wann sollte man sie aufbringen, wenn nicht auf Reisen?

4. Welche drei Gegenstände finden sich auf jeder Reise in deinem ­Gepäck?

Die jüngste Ausgabe der Zeitschrift «Oxford American» mit Literatur und ­Reportagen aus dem Süden der USA, eine Blackroll-Faszienrolle und Laufschuhe – mit denen ich gern joggend fremde Städte erkunde.

5. Was war das beste Essen, das du auf Reisen probiert hast?

Vielleicht das, mit dem wir einst in Umbrien – als man noch mit dem Auto ­unterwegs war – in einer unscheinbaren Kneipe am Wegrand verwöhnt wurden. Es gab keine Speisekarte, der Wirt tischte einfach auf. Unvergessen auch der «Western Burger» mit Crevetten, Zwiebeln und Pfefferschoten im «The Catalyst», einem Lokal im kalifornischen Santa Cruz.

6. Was hat dich das Reisen gelehrt?

Dass man sich nicht jeden Traum verwirklichen muss. Weil er, mal verwirklicht, ja keiner mehr ist.

7. Gibt es etwas, auf das du beim Reisen nicht verzichten kannst?

Kaffee.

8. Welche Apps nutzt du auf Reisen?

Google Maps, wenn ich mich verlaufen habe.

9. Was ist dein Lieblingstransportmittel? Und warum?

Die Eisenbahn. Im Zug kann ich arbeiten, lesen, schreiben, aus dem Fenster schauen… In Postautos und Bussen schlafe ich zwingend ein – so verschlief ich einst in Sumatra die offenbar traumhaft schöne Fahrt an Reisfeldern vorbei und durch tropische Wälder.

10. Wohin würdest du reisen, wenn du noch Zeit für genau eine Reise hättest?

Noch einmal nach Lafayette, Louisiana, und in die umliegenden Dörfer und zu den Swamps – Cajun-Musik hören,
tanzen, sein.

11. Wenn du ein Land wärst, welches wärst du?

Eines der Extreme, vielleicht? In Sibirien, habe ich gelesen, reichen die Tempe­raturen von minus 70 bis plus 40 Grad. Ich mag extreme Kälte und Hitze, bin selbst intro- und extrovertiert zugleich. Aber ich werde nie nach Sibirien reisen.

12. Was tust du, wenn dich der Kulturschock trifft?

Dann wird es erst richtig spannend. Zwar reise ich gern auch bequem. Aber wenn es einen so richtig raushaut… Einst hielten wir uns in einer Absteige in Saigon am chinesischen Neujahr eine Nacht lang die Ohren zu, weil es tönte, als herrsche draussen Krieg. Ein verstörendes Hörspiel, denn Böller und Feuerwerke wurden tatsächlich aus Sprengstoff und Zündmitteln liegen­gebliebener Bomben aus dem Vietnamkrieg gebastelt. Aber einen solchen Schock muss man aushalten. Weil man hinterher merkt, was man gelernt hat. Auch über sich selbst.

Bänz Friedli (57)

ist Autor und Kabarettist. Sein aktuellstes Programm heisst «S isch kompliziert – Bänz Friedli schafft Unordnung». Bänz Friedli ist verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder, lebt in Zürich und mag es, dass er alle Theater der Schweiz mit dem ÖV erreichen kann. Die eigene Stadt erkundet er mittels Velo und Skateboard. Er reist aber auch fürs Leben gern – seine Bücher handeln vom Daheimsein im Unterwegssein, zuletzt «Der Wal im See» mit Eisenbahngeschichten (Knapp Verlag). Früher hatte Friedli das Glück, als Journalist viele Orte von Mali bis Mississippi besuchen zu können. Seine Musik­reportagen erscheinen 2023 gesammelt unter dem Titel «Raucht meine Asche!» als Buch.
baenzfriedli.ch

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