Taxi Taxi!

Um 4 Uhr früh ist die Welt noch in Ordnung. In einem Taxi rolle ich die von 24 Königspalmen gesäumte Auffahrt eines Luxushotels hinaus ins echte Indien. Glücklich, dort angekommen zu sein und mit Vorfreude auf meine Zugreise, steige ich am Bahnhof Neu Delhi aus.

Von einem Herrn werde ich ungefragt zum rechten Eingang verwiesen, als wüsste er genau, wo ich hinmuss. «Tourist!», lautet die Erklärung. Ah ja, denke ich und bedanke mich artig beim wohl ersten Kleinkriminellen der organisierten Abzocke. Beim Eingang wird mein Ticket kontrolliert. «Train cancelled!», wird mir mitgeteilt, meine Freude verfliegt. Ich reibe mir die Augen, als würde es helfen, besser zu verstehen. Der Uniformierte kritzelt ein grosses X neben die Zugnummer auf meinem Ticket, als müsste er es dem Dorftrottel erklären. Und genau so ist es: Ich begreife nichts.

Einen Ersatzzug gäbe es, der fahre an einem anderen Bahnhof ab, ein Taxi könne mich hinbringen, heisst es. Also einsteigen. Ich lasse mich wie ein Schaf zur Schlachtbank führen. Mein Hirn ist auf Notbetrieb, ich habe den zweiten Tag in Folge nur rund drei Stunden geschlafen. Kaum verlassen wir das Bahnhofsareal, leeren sich die breiten Strassen und Boulevards. Als der Fahrer in der Finsternis vor einer Polizeiabsperrung hält, aussteigt und diese beiseiteschiebt, mache ich gedanklich einen Schlussstrich unter mein Leben. Als wir weiterfahren, werden die Strassen zu Gassen und diese enger und dunkler, bis wir in einem verwilderten Hinterhof parken. Ein Bahnhof sieht anders aus. Ein vermeintliches Ticketbüro gibt es, aber keine guten Nachrichten. Die Züge seien für Tage ausgebucht. Es gibt auch Busse, aber diese brauchen gut 19 Stunden für die Strecke. Aber man könne eine Taxifahrt organisieren, so der Chef.

Ich muss telefonieren, denn hier weiterdiskutieren ist sinnlos. Unwillig wählt der Mann die Nummer meiner Kontaktperson vor Ort. Sie nimmt jedoch nicht ab. Ob er die richtige Nummer wählt, bleibt unklar. Er will jedenfalls nicht, dass ich selbst die Zahlen wähle. Das Geld für die siebenstündige Taxifahrt habe ich nicht griffbereit, doch gerne chauffiert man mich zum nächsten Geldautomaten. Als ich beim ersten aussteigen will, ruft mich der Taxilenker zurück: «Not safe here.» Wir fahren zu einer helleren Ecke. Da der Automat weniger als nötig ausspuckt, muss ich eines meiner drei Geldverstecke anzapfen.

Drei Stunden später: Mein neuer Chauffeur hat Speedway-Ambitionen, die jedoch von den Möglichkeiten seines weissen Suzukis gebremst werden. Den zählflüssigen Verkehr auf der mehrspurigen Autobahn heisse ich daher dankbar willkommen, erhöht dieser doch meine Überlebenschancen.

Im vom trüben Smog durchwirkten Morgenlicht sieht der knapp 15 Meter lange Container, der quer über der Fahrbahn liegt aus, als wäre er vom Himmel gefallen. Schaulustige bestaunen den Schlamassel. Den Spruch, den alle Lastwagen in bunten Buchstaben aufgemalt haben, nimmt sich mein Fahrer beim Überholen, egal auf welcher Seite, zu Herzen: Blow Horn – Hupen!

Wenig später bremst er unvermittelt und kommt auf der mittleren Spur zum Stehen. Er hat die Ausfahrt übersehen. Ungerührt setzt er den Wagen zurück. Das sei normal, meint er, und hat recht: Auch andere sind zu weit gefahren, mehrere Autos stehen hupend kreuz und quer auf der Autobahn. Kurz nach Verlassen des Highways hält der Fahrer an und verschwindet. Der Suzuki parkt halb unter einer düsteren Autobahnbrücke, einige Türen der heruntergekommenen Häuser entlang der Strasse sind vernagelt, andere hängen beschädigt in den Angeln. Unter der Brücke vermüllte Ödnis, ein Bretterverschlag. Die vorbeischlurfenden Männer sind in einem ähnlich desolaten Zustand.

Ich bin erleichtert, als der Fahrer nach einer gefühlten Ewigkeit wieder auftaucht. Dennoch: Mein Misstrauen hat sich längst verfestigt. Ich habe mich übermüdet und unüberlegt in eine unangenehme Lage gebracht. Während der nächsten Pause fotografiere ich Auto, Nummernschild und den Fahrer mit dem Smartphone. Der Mann ist wenig begeistert. Er weiss, dass ich weiss. Aber noch sind wir beide bemüht, das Gesicht nicht zu verlieren.

«I am so sleepy!», er sei so müde, gibt der Fahrer zu. Auch wenn er wenig Gesprächsbereitschaft zeigt und sein dürftiges Englisch schwer zu verstehen ist, quäle ich ihn nun mit Fragen. Er würde lieber im Tourismus arbeiten, weil dies mehr Geld bringe, erzählt er, ausserdem fahre er ungern Auto. Wie beruhigend zu wissen…

Langsam wird es eng: In 45 Minuten sollte ich am Treffpunkt sein. Das Roaming zeigt 48 Euro. Der Telefonanbieter – noch habe ich keine indische SIM-Karte – informiert mich, dass mein Guthaben bald aufgebraucht ist. Ich bitte den Fahrer von seinem Telefon aus eine SMS schicken zu dürfen. Umständlich und mit fadenscheinigen Ausflüchten verweigert er dies. Ich hake nach, er bleibt stumm.

Endlich am Ziel angekommen, erzähle ich meinem Kontaktmann von meiner Odyssee und wie viel ich für die Fahrt bezahlt habe. Er erklärt mir meine Optionen: entweder alles vergessen oder Anzeige erstatten. Der Fahrer, nur ein kleines Rädchen im Abzock-System, hat plötzlich Angst. Kein Wunder: Zeige ich ihn an, verliert er sein Auto. Ich verzichte und erhalte nach zähen Verhandlungen einen Drittel meines Geldes zurück. Dies bedarf einer schriftlichen Bestätigung. Ordnung muss sein.

Schon während der Fahrt reichte mir der Fahrer ein dünnes Heft, in das ich Angaben zur sicheren Ankunft, Zufriedenheit mit dem Chauffeur und Co. machen sollte. Die Betrügerbande will die Ausländer wohlbehalten abgeliefert wissen. Oder nutzt die Angaben, um weitere Opfer in ihre Falle zu locken. So wie andere vor mir: Einige haben sich in Schönschrift in die Liste eingetragen und brav alles ausgefüllt. Eine Vorgängerin hat den Betrug wohl nicht erkannt und ein Smiley dazu gemalt. So war die Reise sicher angenehmer.

Schlussendlich überwiegt die Freude, wohlbehalten am Ziel angekommen zu sein. Dass ich dafür drei- oder viermal so viel bezahlt habe, ist zwar ärgerlich, aber zu verschmerzen. Hoffentlich entlarven andere den Betrug früher als ich und lassen sich am Bahnhof nicht abwimmeln.

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