Die Welt ist wundervoll

Sie graben tief in ihren inneren Schatzkisten: Zum 40-jährigen Jubiläum des Globetrotter-Magazins erzählen unsere fünf Redaktionsmitglieder jeweils von ihren Erlebnissen an acht verschiedenen Lieblingsorten. Zusammen gewähren sie so 40 sehr persönliche Einblicke in das Reiseleben der Globetrotter-Redaktion.

Ausgabe: 143  Text: Karin Jakob, Jeannine Keller, Fabian Sommer, Michèle Suter, Sabine Zaugg   Fotos: Privat 

 

Karin Jakob

Einmal in Japan Ski fahren – diesen Traum will ich mir erfüllen. Die letzten zwei Wochen bin ich mit einer internationalen Reise­gruppe durchs Land gereist, um mich orientieren zu können, wie der öffentliche Verkehr läuft und wie ich trotz fehlenden Sprachkenntnissen allein rumreisen kann. In Kyoto habe ich mich von der Gruppe verabschiedet und bin mit Zug und Bus via Nagano nach Shibu Onsen weitergereist. Hier schlage ich mein Basislager für die nächste Woche auf. In diesem kleinen Ort gibt es neun Onsen (heisse Quellen) – in allen neun zu baden, soll Glück bringen. Nach dem ersten Skitag in Shiga Kogen tut es richtig gut, am Abend ins heisse Wasser einzutauchen. Aber nicht nur Skifahrerinnen steigen gerne ins heisse Wasser – auch wilde Makaken fühlen sich anscheinend wohl dabei. Unweit von Shibu Onsen liegt der Jigokudani-Nationalpark. Gerade im Winter halten sich die Affen überwiegend in den heissen Quellen auf. Allein das Zuschauen entspannt.

Den Lehrabschluss in der Tasche und ab ins Ausland. Ich bin für sechs Monate als «Future Farmer of America» in den USA. Die ersten drei Monate habe ich in Wisconsin auf einer Milchfarm gearbeitet, jetzt bin ich im Cowboy-State Wyoming gelandet. Gerald, mein Boss, ist ein Cowboy wie aus dem Bilderbuch – den Hut zieht er allerhöchstens am Esstisch ab (und dort auch nur, weil seine Frau es verlangt). Seine Viehherde zählt 700 Tiere, die wir mehrmals pro Woche auf dem Pferderücken aufsuchen. Ich bin vorher in der Schweiz auch schon mal geritten, aber als gute Reiterin hätte ich mich keineswegs bezeichnet. Und so passiert schon am ersten Tag, was passieren muss: Dusty, mein Pferd, macht ein paar brüske Bewegungen. Gerald ruft mir zu «Slow down», ich verstehe «Go down», ziehe die Stiefel aus den Steigbügeln und schwinge mich aus dem Sattel. Ein unfreiwilliger Absturz… Erst einige Tage später, als wir darüber reden, lösen wir das Missverständnis lachend. Und Gerald schenkt mir auch sein Vertrauen wieder.

Jeannine Keller

Sinai-Halbinsel, Ägypten. Mitten in der Wüste, weit weg von Lichtverschmutzung: Die Nächte unter einem schwarzen Himmelszelt, gesprenkelt mit Abermillionen von Sternen; müde vom Tagesmarsch, aber unfähig, die Augen zu schliessen, um den klaren Blick ins Universum so lange wie möglich zu geniessen und diese einzigartige Stimmung in mich
sinken zu lassen. Es ist ein Gefühl von totaler Leere und absoluter Fülle gleichzeitig, rar und kostbar, und für mich untrennbar mit der Wüste verbunden.

Mit einer Freundin paddle ich auf dem Bowron Lakes Canoe Circuit in der kanadischen Provinz British Columbia. Wir sind mehrere Tage per Packkanu unterwegs. Tannenwälder so weit der Blick reicht, ab und zu ein Bär am Ufer oder einmal ein Elch, den wir umschiffen müssen – ein echtes Wildnisabenteuer. An einem Nachmittag zieht sich der Himmel früher als üblich zu, einzelne Tropfen steigern sich zu Starkregen, der Wind schäumt ungemütliche Wellen auf. Innert Kürze sind wir durchnässt, und es ist eisig kalt. Die Uferlinie im Blick, bemerken wir bange, dass wir kaum vorwärtskommen. Wir müssen unsere ganzen Kräfte einsetzen, um das Kanu in Linie zu halten und wenigstens ein bisschen vorwärtszukommen. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichen wir den ausgewiesenen Campingplatz. Zu unserer Überraschung sind dort auch die beiden pensionierten Kanadier angelandet, die die Tour zweimal im Jahr als Männerferien machen. Unterwegs haben wir sie immer mal wieder gekreuzt. Sie hätten den Sturm kommen sehen und sich Sorgen um uns gemacht, sagen sie. Den Platz haben sie schon mit einer Blache überdacht. Erleichtert und trocken, aber noch mit weichen Knien sitzen meine Freundin und ich bald am knisternden Feuer, in den Händen heissen Tee mit Schuss. Die beiden sind unsere Helden des Tages.

Fabian Sommer

Im Fischerdorf Órzola im Norden der kanarischen Insel Lanzarote biege ich mit meiner Familie im Auto beim Ortseingang scharf links ab. Wir fahren über eine Sandpiste, dann sind wir im Paradies. Der 300 Meter lange Playa de la Cantería liegt an einer imposanten Steilküste. Am Horizont sieht man die Nachbarinsel La Graciosa. Ausser Sand, Lavagestein und Wasser gibt es nichts. Keinen Kiosk, keine Sonnenschirme, keine Strandverkäufer. Zum ersten Mal bin ich an Heiligabend 2021 hier. Ich hüpfe mit meinen Söhnen in die Wellen, zeichne für sie mit einem Ast ein Fussballfeld in den Sand, wir essen Chips und trinken Pfirsicheistee. Ich weiss es jetzt, hier ist immer Weihnachten.

Jeweils zu Beginn der Sommersaison übergibt der Bürgermeister von Tallinn symbolisch die Hauptstadtrechte Estlands an den Bürgermeister von Pärnu. Und der Titel als Sommerhauptstadt ist verdient: wegen der Architektur, des langen Strands und der netten Menschen. In einer warmen Nacht sitze ich hier mit einem Freund am Meer. Hunderttausende Mücken attackieren uns, aber das tut der Schönheit der Landschaft keinen Abbruch. Mein Reisebegleiter weigert sich, Mückenspray zu benutzen. Sein Gesicht ist nach kurzer Zeit übersät mit Stichen. Als wir zurück in das kleine Hotel kommen, meint die Betreiberin, Wodka helfe – für alles, gegen alles und bei allem. Sie reibt ihm das Gesicht mit dem Schnaps ein. Am nächsten Tag ist alles wieder gut. Und aus den ursprünglich geplanten zwei Tagen in Pärnu werden fünf.

Michèle Suter

Der Juli 2011 ist in der Schweiz mehrheitlich regnerisch und kühl. In unserem schlecht isolierten Zuhause muss ich sogar den Ofen einheizen, weil es sonst zu ungemütlich wäre. So starte ich im August gut akklimatisiert in die Arktis. Unsere Reisegruppe landet in Longyearbyen auf Spitzbergen. Hier besteigen wir die MS Akademik Sergey Vavilov. Das Bordleben ist äusserst abwechslungsreich – hätte der Tag doch mehr als 24 Stunden! Rund um Spitzbergen unternehmen wir Ausflüge per Zodiac, beobachten Eisbären, Walrosse und Wale, und später, in Grönland, gehen wir wandern. Wir besuchen Ny-Ålesund, die nördlichste permanent bewohnte Siedlung der Welt – nur noch exakt 1231 Kilometer vom geografischen Nordpol entfernt. Die Stimmungen sind magisch mit Tendenz zu kitschig. Und so machen wir die Nacht zum Tag. Der Vollmond in der Arktis, der hellrosafarbene Nachthimmel mit Eisbergen davor prägen sich dabei tief in mein Gedächtnis ein.

2810 Meter hoch ist der Roraima-Tepui in Venezuela. Zwei Tage braucht unsere Trekkinggruppe, um den Tafelberg zu erreichen und zu besteigen. In der Ebene brennt die Sonne gnadenlos. In der Steigung ist es schwül – wir schwitzen Bäche. Erschöpft kommen wir oben an. Hier ist es sehr kühl. Wir ziehen uns warm an. Doch der heisse Kakao mit Rum, die Aussicht vom Berg und das Gefühl, Grosses geleistet zu haben, machen alles wett. Da stören uns auch die Skorpione in der Höhle, in deren Schutz wir unsere Zelte aufstellen, nicht. Am nächsten Tag erkunden wir die Hochebene mit ihren Pflanzen – viele davon sind endemisch – und baden in eis­kalten Regenwasserteichen. Schon fast ist das tropische Klima unten am Berg vergessen. Doch nach zwei Tagen in der Höhe gewöhnen wir uns rasch wieder daran, und die Puri Puri, die Sandfliegen, die uns gefühlt auffressen, holen uns wieder auf den Boden zurück

Sabine Zaugg

Auch in Bosnien und Herzegowina gibt es interessante Getränke, allerdings nichts, was man schon morgens zu sich nehmen möchte, es sei denn, man mag Hochprozentiges zum Frühstück. Auf einer Gruppenwanderung durch den regennassen Sutjeska-Nationalpark zückt der Ranger bei jeder Gelegenheit den Flachmann und lässt die mit Rakija gefüllte Flasche kreisen. Als ich auf einem quer liegenden Baumstamm über einen rauschenden Bach balancieren muss, bin ich froh, nur daran genippt zu haben.

Mein Partner und ich fahren mit unserem Van durch den Balkan. Von der albanischen Küste aus holpern wir durch die Berge bis nach Nordmazedonien. Wir stellen unser mobiles Zuhause auf einem kleinen Campingplatz am Ohridsee ab und radeln mit unseren Fahrrädern in die historische Stadt Ohrid. Über 500 Jahre osmanische Herrschaft haben hier deutlich ihre Spuren hinterlassen, aber auch andere Herrscher, Kulturen und Religionen haben dem Ort ihren Stempel aufgedrückt. Nicht umsonst zählen der See und die ganze Umgebung seit dem Jahr 1979 zum UNESCO-Welterbe. Auf dem schmalen Steg, der von der Altstadt der Küste entlang zur berühmten Kirche des heiligen Johann von Kaneo führt, denke ich mir einmal mehr: Wer reist, kann nicht auf dem Holzweg sein. Und wenn doch, dann ist es ein wunderschöner Holzweg.

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Alle 40 Lieblingsorte findest du in unserer Jubiläumsausgabe.

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«Das Reisemagazin für Weltentdecker – seit 1982»

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