Das Fest der Furchtlosen

Am Sikh-Festival Hola Mohalla in der indischen Stadt Anandpur Sahib verschmelzen Spiritualität, Gemeinschaft und martialische Traditionen zu einem mitreissenden Spektakel im Staub der Geschichte.

Ausgabe: 155  Text und Bilder: Thorge Berger 

Die Stadt steht Kopf. In Anandpur ­Sahib ist Hola Mohalla, das dreitägige Festival der Sikh, der viertgrössten Religionsgemeinschaft Indiens. Und ich? Stehe mitten im Charan-Ganga-Stadion. Dass der Höhepunkt der Festivitäten naht, spüre ich überdeutlich. Immer mehr Menschen ­ziehen in die Arena ein: zu Fuss, mit Traktoren, zu Pferd. Sie sehen stolz aus in ihren ­traditionellen Gewändern und den zum Teil schier riesigen Turbanen. Fast alle tragen ­traditionelle Waffen.

Die Stimmung ist ausgelassen, voller Energie. Ich sehe Sikhs, die ihren Mut und ihre Geschicklichkeit unter Beweis stellen, indem sie Kunststücke präsentieren und ­improvisierte Scheingefechte führen.

Viele Menschen sprechen mich an und erklären mir, was hier vor sich geht. Sie ­wollen, dass ich verstehe, dass Hola Mohalla für sie etwas ganz Besonderes ist. Es ist nicht nur ein Fest, es schafft Jahr für Jahr eine tiefe Verbindung zwischen den Menschen, die von überall herkommen. Alle Unterschiede ­verschwinden. Es zählt nur die Gemeinschaft. Sie beten, essen und feiern zusammen, ­fühlen sich miteinander verbunden.

Und, wie immer bei den Sikhs, sind alle Menschen willkommen. Ungeachtet ihrer Kaste, ihres Glaubens oder ihres Standes im Leben. Die Gastfreundschaft und Zugewandtheit, die ich überall erlebe, berührt mich. Hola Mohalla wird jeden Frühling am Schrein von Keshgarh Sahib gefeiert – dem Ort, an dem Guru Gobind Singh 1699 die Bruderschaft der Khalsa gründete, die den ­Sikhismus so gestaltete, wie er bis heute ­gelebt wird.

Der Sikhismus ist eine der jüngsten anerkannten Religionen der Welt. Für die Anhänger gelten Grundsätze wie Gleichheit aller Menschen, Altruismus und Ehrlichkeit. Mit etwa 30 Millionen Gläubigen weltweit ist der Sikhismus die fünftgrösste Religion überhaupt – nach Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus. Viele Sikh leben in Nordamerika und Grossbritannien, die meisten allerdings immer noch in Indien.

Es gibt fünf äussere Zeichen der Sikh-Identität: Kesh (ungeschnittenes Haar), Kangha (ein Holzkamm), Kara (ein Eisenarmband), ­Kachera (eine spezielle Unterwäsche) und Kirpan (ein kleines Schwert). Diese Symbole sollen die Sikh daran erinnern, ihre religiösen Pflichten zu erfüllen und ein moralisches Leben zu führen.

Und im Stadion? Bebt plötzlich der ­Boden. Die Menge weicht zurück. Reiter ­preschen in waghalsiger Geschwindigkeit durch die Arena – barfuss, auf zwei Pferden gleichzeitig, ohne Sattel. Erde wirbelt herum, Jubel brandet auf. Ich fotografiere wie in Trance. Und spüre: Dieser Moment bleibt für immer.

Über den Fotografen

Thorge Berger (59) ist Reisefotograf, Autor, Workshopleiter, Vortragsreferent und Veranstalter von Fotoreisen. Er bereiste mehr als 50 Länder auf fünf Kontinenten. Erschienen sind von ihm bisher «Reisefotografie – Wie Ihnen faszinierende Bilder gelingen – von der Planung bis zur Nach­bearbeitung» (dpunkt) und «Bilder aus dem Iran» (Edition Bildperlen). Thorge lebt mit seiner Frau in Bergisch Gladbach im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen.

Thorge Berger

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