Per Anhalter von Mosambik nach Simbabwe

Kilometer null. Pambarra, Mosambik, in Küstennähe. Es ist halb 10 Uhr morgens. Ich sitze am Strassenrand, in meinen Händen ein Schild mit der Aufschrift «Chimoio». Wer wohl anhalten wird? Wer mich wohl mitnehmen wird? Ich stelle mir einen überladenen Jeep vor mit einer Familie, die auf dem Weg zu ihrer Verwandtschaft ist. Oder ein Paar, das gemeinsam das Abenteuer Afrika wagt. Mein Ziel ist 566 Kilometer entfernt und liegt in Simbabwe. 360 Kilometer sind es bis zur Grenze. Ich trampe spontan, zu Hause weiss niemand davon. Ich bin auf der Suche nach der Nähe zu den Einheimischen, nach überraschenden Erlebnissen. Sieben Jahre intensives Reisen liegen hinter mir. Sieben Jahre, in denen ich auf mein Bauchgefühl vertraute und mir so Zugang zu vielen tollen Menschen verschaffte. Bisher hat mich meine Intuition nicht enttäuscht. Ich liebe es, etwas Neues auszuprobieren, liebe all diese ersten Male. Nicht zuletzt wegen der begrenzten Kontrollierbarkeit.

Neben mir verkaufen Händlerinnen Gebäck und andere Kleinigkeiten. Ich komme mit den Menschen ins Gespräch und erzähle ihnen von meinem Plan. Es dauert nicht lange, da kommt ein junger Mann auf mich zu und sagt: «Du kannst mit diesem Truck dort bis nach Inchope fahren.» Er packt meinen Rucksack und schmeisst ihn in den Lastwagen mit dem Schriftzug «Correios de Moçambique». Der Zustand des Wagens ist gut. Im Führerhaus liegen Zigaretten und Minzbonbons. Der Fahrer trägt eine schwarze Sonnenbrille, seine Augen sind nicht erkennbar, doch er lächelt. Auf dem Hintersitz liegt eine Frau mit lockigem Haar und kräftigen Oberarmen. Nun steigt noch ein Mann mit Jeanshemd und Lederuhr ein. «Hola», begrüsst er mich. Er hat Grübchen im Gesicht. Wir fahren los. In mir fängt es an zu kribbeln, und es wird mir bewusst – ich bin in Afrika unterwegs. Per Anhalter.

Wir fahren auf der Nationalstrasse EN1, der Estrada Nacional Número Um, Richtung Norden. Sie verbindet den Norden des Landes mit dem Süden. Ich spreche Englisch, Spanisch und Französisch, die drei anderen sprechen Portugiesisch. Trotzdem können wir uns gut verständigen. Alex, der Fahrer ist 40 Jahre alt, er fährt seit 20 Jahren den Truck, täglich 18 bis 20 Stunden. Wöchentlich verbringt er eine Nacht bei seinen zwei Kindern in der Hauptstadt Maputo – wenn er Glück hat und die Strecke wie geplant schafft. Im Slalom umfährt er riesige Löcher im Asphalt. Fahrzeuge kommen uns auf unserer Spur entgegen. Ein Wagen kommt gefährlich nahe. Alex fährt weiter geradeaus, hält das Lenkrad mit beiden Händen fest. Sein Gesichtsausdruck ist hart, an seinen Armen zeichnen sich die Muskeln ab. Er betätigt die Lichthupe. Endlich weicht der gegnerische Wagen aus. Zum Glück!

Es ist trocken, nur vereinzelt gibt es Bäume in Sichtweite. Wir fahren jetzt neben der Strasse auf aufgeschüttetem Sand. Wir überholen Fahrradfahrer, die Ziegen auf palettähnlichen Konstruktionen festgebunden haben. Sicher bewegen sie sich über die unebene Strasse, die Tiere sind erstaunlich ruhig. Die Schlaglöcher werden weniger, Alex entspannt sich, lässt seinen Blick über die Landschaft schweifen. Ich ahne: Er liebt seinen Job. Mir aber reicht es, diese Strecke einmal im Leben zurückzulegen. Sonst mag ich es, während des Fahrens zu lesen. Auf dieser Strasse habe ich keine Chance dazu.

Nach einer kurzen Rast mit einer Mahlzeit aus Poulet, Reis, Salat und Gemüse fahren wir weiter. Plötzlich sind überall Menschen, viele Frauen mit Kindern. Sie verkaufen Strohballen, Orangen und Ananas. Die Landschaft ist grün mit vielen Bäumen und Palmen. In der Ferne sehe ich ein Kind mitten auf der Strasse stehen. Alex hupt. Wir nähern uns dem Kind, das noch immer still dasteht. Jetzt erkenne ich das lebende Huhn in seiner Hand. Alex hupt erneut – in letzter Sekunde springt der Junge zur Seite. Alex holt tief Luft.

Als die Sonne untergeht, erreichen wir Inchope im Landesinneren. Ich verabschiede mich und fahre mit dem Minibus nach Chimoio im Westen. Dort suche ich eine Übernachtungsmöglichkeit. Es wird eine unruhige Nacht. Im Hostel findet eine Party statt. Am nächsten Tag heisst meine Mission: Bargeld besorgen, denn in Simbabwe, meinem nächsten Ziel, werde ich kein Geld abheben können. Aufgrund der maroden Wirtschaft ist die Inflation allgegenwärtig, und es gibt kaum Bargeld. In Mosambik kann ich pro Mal 5000 Metical (75 Euro) abheben. Vor jedem Automaten stehen 20 bis 40 Menschen. Am frühen Abend habe ich es endlich geschafft, und ich beschliesse, morgen um 7 Uhr in der Früh von einer Truck-Raststation zu starten.

260 Kilometer liegen noch vor mir bis zu meinem Ziel in Simbabwe. Die Trucks sind am Strassenrand geparkt, ihre Führerhäuser sind leer. Dafür sitzen zwischen den Fahrzeugen fünf Männer auf Plastikstühlen im Kreis, zwei stehen daneben. Die Strasse ist staubig und laut, die Fahrer sind ruhig und ernst. Plötzlich frage ich mich, warum ich das hier mache. Ich bin noch nie alleine getrampt. Warum jetzt? Warum in Afrika? Und doch – warum nicht? Ich gehe auf die Männer zu: «Hallo, ich möchte nach Mutare in Simbabwe.» Die Männer blicken mich freundlich an. Mir ist bewusst, wie ungewöhnlich es ist, dass europäische Frauen hier alleine unterwegs sind, und auch dass die meisten Männer mir körperlich überlegen sind. «Souf fährt», sagt einer und führt mich zu einem Truck. «Mutare?», fragt Souf und zieht die Gepäckschnur seines Wagens nach. «Ja, darf ich mitfahren?», frage ich ihn, während mein Rucksack bereits aufgeladen wird.

Im hinteren Teil des grossen Führerhauses gibt es zwei Betten, die Scheibe ist dreckig, die Aussicht von so weit oben grandios. Kurz bevor wir abfahren, entdecke ich den etwa fünf Jahre alten Jungen hinter dem Sitz. Es ist Elio, Soufs Sohn. Dann steigt seine Frau Isabel ein und wir rollen los. Ich sitze vorne bei Souf, Isabel mit Elio hinten auf dem Bett. Souf kommt aus Nampula. Er ist Vater von fünf Kindern und seit 14 Jahren Truckfahrer. «Ich war mit diesem Truck schon in Botswana, Sambia, Malawi und Tansania», erzählt er. Im Schritttempo tuckern wir einen Berg hinauf Richtung Simbabwe. Andere Trucks ziehen an uns vorbei. «Fährst du gerne?», frage ich. Souf strahlt: «I love it too much!» Es wird steiler, Souf versucht, in den nächsten Gang zu schalten. Wir werden immer langsamer, bis wir uns nicht mehr bewegen. Stillstand. Souf bewegt die sensible Schaltung. Er scheint genau zu wissen, was er tut. Ich will vorankommen, ich will unbedingt bei Tageslicht in Simbabwe ankommen! Noch einmal versucht es Souf – wir sind wieder im Spiel. Souf strahlt: «This truck ist too good! Er hat mich in den letzten Jahren nie im Stich gelassen.»

Nach drei Stunden erreichen wir die Grenze. Dort bildet sich ein Stau, ein Ende ist nicht sichtbar. Ich werde unruhig, mein Rücken schmerzt. «Schritt für Schritt», sagt Souf entspannt. Dann steigen Isabel und Elio aus, sie werden frischen Fisch kaufen und an der Grenze auf ihn warten. «Isabel hat keinen Pass», sagt Souf. «Hatte Sie noch nie einen?» – «Nein, ich bin der Einzige meiner Familie mit einem Pass. In Mosambik besitzt fast niemand einen Pass. Doch nächstes Jahr werden wir einen für sie beantragen, damit sie mit mir nach Simbabwe, Sambia und Malawi reisen kann.»

Ich hole meinen Stempel am Checkpoint von Mosambik und kehre zurück zum Truck. Souf muss am Grenzamt unzählige Unterlagen abgeben. Mittlerweile sind wir seit vier Stunden hier. Ich beschliesse, die Grenze selbstständig zu überqueren. «Souf, ich werde mein Visum für Simbabwe holen. Ich lasse meinen grossen Rucksack bei dir. Wir sehen uns am Checkpoint von Simbabwe.» – «Klar!», antwortet er. Ich mache ein Foto des Trucks, damit ich ihn später wieder finde, denn von dieser Sorte gibt es viele. Ich laufe an unzähligen Lastwagen vorbei. Kein Auto ist sichtbar. Und keine einzige Frau. Nur ich zwischen Trucks und Fahrern. Es ist staubig und warm.

Als ich den Checkpoint von Mosambik verlasse, muss ich ein gestempeltes Papier abgeben. Ich schlängle mich weiter durch die schmalen Gänge zwischen den Fahrzeugen, die kreuz und quer stehen. Dann wird mir klar, dass ich nicht mal Soufs Telefonnummer habe. Was ist, wenn mit seinen Papieren etwas nicht stimmt und er die Grenze nicht passieren kann? Was ist, wenn ich ihn nicht mehr finde? Was ist, wenn mein Rucksack abhanden kommt? Das Grenzgebiet ist grösser, als ich dachte. Ein Mann begleitet mich, will mir den Weg durch die engen Gänge weisen. Ich fühle mich von ihm etwas bedrängt und wäre jetzt lieber alleine, würde mich lieber auf mich selber verlassen. Schliesslich stehe ich unversehrt vor dem Checkpoint von Simbabwe. Alles ist gut gegangen.

Ich stehe am Checkpoint. Werden sie mich einreisen lassen? Im Hostel in Chimoio habe ich gestern zwei Chileninnen und eine Chinesin kennengelernt, die an der Grenze abgewiesen wurden. Am Schalter ist kaum etwas los. Ich zeige meine Papiere. «Bitte warten», sagt die stark geschminkte Angestellte. Andere Menschen ziehen an mir vorbei, bekommen scheinbar problemlos einen Einreisestempel. Die Schaltermitarbeiterin winkt mich zu sich: «Das Computersystem ist abgestürzt.» 15 Minuten später erhalte ich mein Visum. Ich suche auf meinem Handy das Foto des Trucks – Nr. 437.

Als ich das Gebäude verlasse, parkt direkt vor mir ein riesiger Lkw mit roter Plane. Nr. 437! Jetzt sehe ich Souf, der grinsend im Führerhaus sitzt. Ich steige ein, lasse mich in den Sitz fallen und fühle mich sicher. Es ist wieder passiert: Ich habe mich ins Unbekannte gewagt. Auf dieser Wahnsinnsstrecke. Und genau hier fühle ich mich jetzt gerade unglaublich geborgen und dankbar.

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