Schlamm und brechendes Eis

Giorgis runder, nackter Bauch bebt beim Lachen. Georgische Männer zeigen gerne Haut. Giorgi steht oben ohne auf der Strasse und lacht uns aus. «No, no», sagt er, schüttelt den Kopf und verschwindet hinter dem Gartentor. Als er zurückkommt, zieht er einen pinken Gartenschlauch hinter sich her. Unsere Gesichter erhellen sich. «Madloba – Danke!» Wir stöhnen erleichtert auf.

Gut zwei Stunden vorher radeln Mario und ich einen Feldweg entlang. Wir befinden uns in Zentralgeorgien, irgendwo ausserhalb der Stadt Kareli. Plötzlich verläuft der Weg durch eine Schlammlache. Mario geht vor. Er versucht am Rand eine flache Stelle zum Queren zu finden. Keine Chance. Innert Sekunden setzt sich die klebrige, braun-graue Masse an den Reifen fest. Mario muss sein schwer beladenes Fahrrad quasi durch den Schlamm tragen. Immer wieder rutscht er mit seinen Flipflops in der glitschigen Masse aus.

Das sieht nicht gut aus, denke ich und weiche auf das angrenzende Feld aus. Eine katastrophale Fehlentscheidung. Nach wenigen Schritten versinke ich bis zu den Knien im Schlamm. Mein Fahrrad kippt um. Ich zerre daran und versuche es wieder aufzurichten. Mit jeder Bewegung, die ich mache, sinke ich tiefer ein. Irgendwann bleiben meine Sandalen in der Pampe stecken. Mit beiden Händen wühle ich im lehmigen Dreck, bis ich meine Schuhe wieder habe. Aber ich komme nicht mehr vor und nicht zurück.

«Ich stecke fest», rufe ich Mario zu. Er hat das Schlammloch mittlerweile überwunden und wieder festen Boden unter den Füssen. Er schliesst kurz die Augen, atmet tief durch und stürzt sich dann barfuss erneut in den Dreck. Mein Mann eilt mir zu Hilfe. Na ja, waten trifft es besser.

Die Strecke betrug keine 100 Meter, doch diese haben uns viel Nerven und jeden sauberen Zentimeter an uns und unseren Fahrrädern gekostet. Wir fühlen uns klein. Wie wenig es doch braucht, um uns in unsere Schranken zu weisen. Die Natur sitzt immer am längeren Hebel. Das ist das Schöne an so einer Reise, man wird demütig.

Zum Glück ist Georgien ein Wasserparadies. In jedem Dorf hat es einen Brunnen mit bestem Bergquellwasser. Wir müssen nicht lange fahren, bis wir einen Brunnen finden. Mit Hilfe unserer Trinkflaschen versuchen wir die Velos abzuspritzen. Bald merke ich, dass wir Aufmerksamkeit erregen. Die Frau aus dem Dorfladen nebenan späht interessiert aus dem Schaufenster und rückt dabei ihre Brille zurecht. Eine ältere Dame in geblümter Schürze gesellt sich zu ihr. Ein Mann setzt sich auf die Bank vor dem Laden, verschliesst die Hände auf seinem stattlichen – nackten – Bauch und schaut uns ungehemmt zu. Grüssen tut er nicht.

Der Dreck will einfach nicht abgehen. Der Mann, der sich später als Giorgi vorstellt, beobachtet uns noch eine Weile und steht dann kopfschüttelnd auf, lacht und zieht den pinken Gartenschlauch hervor. Tatkräftig hilft er, die Räder zu putzen und spritzt schliesslich auch uns nass. Das Eis ist gebrochen. Die Frauen im Laden geben ihrer Neugierde nach und kommen dazu. Sie scherzen mit und amüsieren sich köstlich. Die Ladenbesitzerin holt ihren Sohn und verdonnert ihn dazu, uns alle möglichen Fragen zu stellen: Woher kommt ihr? Wohin geht ihr? Wieso seid ihr so schmutzig? Wie lange seid ihr unterwegs? Müsst ihr nicht arbeiten? Seid ihr reich? Seid ihr verheiratet? Habt ihr Kinder?

Wenn wir bejahen, dass wir verheiratet sind, sind die Menschen immer hellauf begeistert und gratulieren uns. Wenn die Frage nach den Kindern kommt, nachdem wir erzählt haben, dass wir seit fünf Monaten auf Reisen sind, erstaunt uns das etwas. Wo sollen denn diese Kinder sein, während wir monatelang per Rad die Welt erkunden? Dies zeigt uns einmal mehr, dass wir die Lebensrealität des Gegenübers nicht wirklich erfassen – und sie unsere auch nicht. Wir erhalten zwar durch unsere Art zu reisen viele Einblicke und geben diese auch in unser Leben, doch für wirkliches Verständnis bräuchte es mehr Zeit. Oder liegt es daran, dass wir in ihren Augen schon alt genug für erwachsene Kinder sind? Rein biologisch sind wir das, aber die Vorstellung daran finden wir absurd.

Wir verlassen das Dorf mit sauberen Velos, frischem Trinkwasser, einer Handvoll geschenkter Aprikosen und um eine schöne Begegnung mit den humorvollen Menschen Georgiens reicher.

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