Eine Reise zu den Wurzeln der Menschheit
Auf ihrer Reise durch das afrikanische Buschland trifft Fotografin Sandra Weller auf zwei aussergewöhnliche Kulturen: die Datoga, Meister der Schmiedekunst, und die Hadza, einen der letzten nomadischen Jäger- und Sammler-Stämme der Welt. Inmitten von Hitze und Staub erlebt sie, wie diese Völker im Einklang mit ihrer Umgebung leben, diskutiert übers Kinderkriegen und geht mit auf die Jagd.
Ausgabe: Online Text und Bilder: Sandra Weller
Unsere Zelte haben wir im Safari Camp aufgeschlagen. Ich sitze im Schatten, um der Sonne auszuweichen, die erbarmungslos vom Himmel brennt. Ich versuche, mich so wenig wie möglich zu bewegen, während mir der Schweiss runterläuft. Nur wenige Tage zuvor waren wir mit unserer kleinen Reisegruppe noch am Ngorongoro-Krater, auf einer Höhe von 2000 Metern. Dort, wo die Kälte uns dazu zwang, mehrere Schichten anzuziehen. Unsere Nächte verbringen wir abwechselnd in Lodges und beim Campen, wo uns die Rufe von Hyänen, Büffeln und ab und zu sogar von Löwen Gesellschaft leisten.
Heute befinden wir uns in der Nähe des Eyasisees, eines der bedeutendsten geografischen Gebiete der Menschheitsgeschichte. Die Gegend ist ein zentraler Ort für das Verständnis der menschlichen Evolution. Viele der frühesten Beweise für Vorfahren stammen von hier, weshalb die Region auch als «Wiege der Menschheit» bezeichnet wird.
Wahre Recyclingkünstler
Am Nachmittag lässt die Hitze nach und wir machen uns auf den Weg zu der hier lebenden indigenen Kultur der Datoga. Samuel, unser einheimischer Begleiter, spricht neben Englisch auch deren Sprache und fungiert als Übersetzer.
Die Datoga bezeichnen sich selbst als halb-nomadische Hirten. Ihr Vieh hat eine grosse kulturelle Bedeutung: Sie besitzen Ziegen, Schafe und Esel, aber Rinder sind der wichtigste Schatz. Sie gelten nicht nur als Statussymbole, sondern auch als Zahlungsmittel. Mit der Verringerung der Weideflächen haben die Datoga jedoch ihre Wirtschaft diversifiziert und stützen sich heute auch auf Landwirtschaft, Schmiedekunst und Lohnarbeit.
Die Landschaft um uns wirkt karg, nur vereinzelt gibt es Bäume, in der Ferne zeichnen sich die Umrisse von Bergen ab. Als wir anhalten, sehen wir zunächst nur Gestrüpp. Doch dann entdecken wir den Eingang eines ungewöhnlichen, dornigen Rundbaus, ohne Dach, aber mit einem Feuer in der Mitte. Zwei Datoga-Männer in rot karierten Massai-Umhängen schmelzen über dem Feuer alte Nägel und Schlösser. «Die Datoga sind ausgezeichnete Schmiedekünstler», erklärt Samuel. «Aus Altmetall stellen sie Kupfer- und Eisenwaren her, darunter Pfeilspitzen, die sie im Handel mit dem Hadza-Stamm gegen Honig eintauschen.» Auch Messer, Armreifen, Ohrringe und Halsketten werden hier gefertigt.
Neugierig kommen die Datoga-Frauen hinzu. Sie tragen braune Kleider aus Ziegenleder mit Fransen und bunten Perlen. Der kastanienbraune Farbton ihrer Kleider entsteht durch eine Mischung aus rotem Sand und Tierbutter. Die Perlen symbolisieren Fruchtbarkeit. Einige Frauen tragen traditionelle Gesichtstattoos.
Bevor ich mich versehe, bin ich selbst in Ziegenleder gewickelt und mit Ketten behängt. Auf einem Tisch liegt Schmuck, den die Frauen verkaufen wollen. Der Tourismus hat in dieser Region längst Einzug gehalten und ist eine bedeutende Einnahmequelle für die Datoga.
Andere Länder, andere Sitten
Wir folgen den Frauen in eine Lehmhütte. Es gibt keine Fenster, das Tageslicht dringt spärlich durch einige kleine Löcher. Die Frauen zeigen uns, wie sie Ugali zubereiten. Zuerst kochen sie über dem Feuer Wasser auf, dann rühren sie nach und nach Maismehl ein, bis ein fester, glatter Teig entsteht. Eine sättigende Speise, die in vielen Teilen Ostafrikas als Beilage zu Fleisch, Gemüse oder Eintöpfen gegessen wird.
Bei den Datoga haben die Männer das Sagen. Die Familien sind in Clans organisiert, und jede Familie hat ihre eigenen Traditionen und Rituale. Ein zentrales Element der Kultur ist die Brautpreiszahlung, oft in Form von Rindern, die als Symbol für den Wert der Frau und als Teil des Ehevertrages gelten.
Die Frauen sind besonders interessiert an Jessica und Julian, dem frisch verheirateten Paar aus unserer Gruppe. Sie sind erstaunt, als sie erfahren, dass die beiden vier Jahre lang zusammenlebten, bevor sie heirateten. «Ihr habt zusammengelebt, ohne zu heiraten? Und habt ihr keine Kinder bekommen? Wie funktioniert das?», fragen sie ungläubig. Als Julian ihnen von der Anti-Baby-Pille erzählt, sind sie fasziniert und hören aufmerksam zu.
Doch nicht nur die Partnerschaft und die Familienplanung sind bei den Datoga anders geregelt. Auch die Geburtsrituale weichen von unseren westlichen Vorstellungen ab. Nach der Geburt bleiben Mutter und Kind in der Regel drei Monate in einem Raum, den sie nicht verlassen dürfen. Während dieser Zeit unterstützt die weilbliche Verwandtschaft die Mutter. Diese Phase dient nicht nur der Erholung, sondern auch der rituellen Pflege, bei der Mutter und Kind vor äusseren Einflüssen geschützt werden. Die starke Gemeinschaft sorgt dafür, dass die junge Mutter sich während dieser Zeit nicht überfordert oder isoliert fühlt.
Mit vielen neuen Eindrücken verlassen wir die Hütte und das Datoga-Dorf. Wir machen uns auf den Rückweg zu unserem Camp.
Hadza bedeutet Mensch
Am nächsten Morgen brechen wir früh auf, um die Hadza, auch Hadzabe genannt, zu besuchen. Sie gehören zu den letzten voll nomadischen Jäger- und Sammler-Stämmen der Welt. Im Gegensatz zu den Datoga betreiben sie kaum Ackerbau oder Viehzucht.
Der Name Hadza bedeutet «Mensch». Tatsächlich gelten die Hadzabe als eines der Völker, das genetisch zu den frühesten überlebenden Menschen gehören könnte.
Unser Weg führt immer tiefer ins Buschland. Die Strasse wird holpriger, Staub wirbelt auf. Links und rechts erheben sich Affenbrotbäume, deren schwere Früchte tief hängen. Das letzte Stück des Weges legen wir zu Fuss zurück. Als wir ankommen, hören wir Stimmen und erblicken kleine Lehm- und Strohhütten. Die Szenerie erinnert an vergangene Zeiten: Männer in Tierfellen sitzen um Feuerstellen und halten gegrillte Vögel in den Händen, die sie essen. Federn liegen verstreut auf dem Boden. Die ersten Sonnenstrahlen brechen durch den Rauch und hüllen die Szene in ein warmes Licht.
Die Hadza schenken uns einen flüchtigen Blick, bevor sie sich wieder ihren Gesprächen und dem Feuer widmen. An den Bäumen hängen Pfeile und Bögen, Hunde beobachten uns aus der Ferne. Etwas hilflos bleiben wir staunend stehen.
Unser Hadzabe-Kontakt, ein Mann namens NO-NO-NO, begrüsst uns. Er trägt eine Mischung aus modernen Kleidungsstücken, wie Jeans und T-Shirt, kombiniert mit traditionellen Elementen – ein Pavianfell hängt über seine Schultern, und ein Pavianfellkranz ziert seinen Kopf.
Mit Pfeil und Bogen in der Hand gibt er uns eine kurze Einführung in die Jagd. Mit pantomimischer Präzision und Klick- und Schnalzlauten zeigt er, welche Pfeilspitzen für welches Tier verwendet werden. Einige Spitzen sind mit Pflanzengift behandelt. Samuel übersetzt für uns. Die Sprache der Hadzabe ist bekannt für ihre Klicklaute und gilt als eine der ältesten Sprachen in Afrika.
Die Verbindung zur Natur und die spirituelle Weltanschauung sind zentral für das Leben der Hadzabe. Wenn ein Hadza in früheren Zeiten an einem Ort ein grosses Tier erlegt hatte, zog der gesamte Stamm dorthin. Viel mehr als die Struktur eines Hauses bedeutet ein Feuer für sie «Zuhause», denn das ist der Platz, an dem sich die Familie versammelt.
Auf Jagd im Busch
Das Frühstück der Hadzabe ist beendet und nun wird es ernst: Vier Hadza-Männer, bewaffnet mit Pfeilen und Bogen, sowie etwa 16 Hunde ziehen auf der Suche nach Beute in die Wildnis. Wir versuchen Schritt zu halten. NO-NO-NO zeigt auf einen Busch, in dem er Beeren entdeckt. Es geht weiter, ich komme ganz schön ins Schwitzen.
Plötzlich werden wir aufgefordert leise zu sein. I-A-I-A, einer der Hadzabe, pirscht sich mit Pfeil und gespanntem Bogen vorsichtig an einen Baum heran. Er schiesst. Ein Vogel fällt herunter, den er freudig aufhebt und nach einem gekonnten Biss in den Nacken an das Seil um seine Hüfte bindet.
«Am liebsten essen wir Paviane», sagt NO-NO-NO. Samuel erklärt uns, dass es mittlerweile den Hadzabe verboten ist, grosse Tiere wie Giraffen zu jagen. Ihr Jagdgebiet ist durch den Safari-Tourismus und landwirtschaftliche Nutzung stark verkleinert worden. Heute sammeln sie Früchte und Wurzeln, suchen nach Honig und jagen kleinere Tiere wie Gazellen oder Paviane.
I-A-I-A erlegt noch zwei weitere kleine Vögel, dann lassen wir uns im Kreis nieder. Die Hadzabe sammeln Holz, nehmen ein Stöckchen, das sie geschickt auf einem anderen Holz drehen und haben in Windeseile ein Feuer entfacht. Die Vögelchen werden entfedert und auf dem Feuer gegrillt. Als sie knusprig gebraten sind, bietet mir NO-NO-NO ein Stück an. Doch trotz meines Interesses muss ich ablehnen – das Stück Fleisch sieht eher nach Innereien aus, und bei leerem Magen bin ich nicht bereit, diese zu kosten.
Nachdem die Vögel verspeist sind, machen wir uns auf den Rückweg.
Die Mittagshitze brennt wieder vom Himmel. An den unbedeckten Stellen meiner Beine hinterlassen die dornigen Sträucher, durch die wir rennen, rote Schrammen. NO-NO-NO findet schnell die richtige Pflanze, die er zur Heilung auf meine Wunde reibt. Es ist beeindruckend, wie gut die Hadza mit ihrer Umwelt verbunden sind und wie tief ihre spirituelle Beziehung zur Natur geht.
Zurück im Camp der Hadzas haben sich weitere Touristengruppen eingefunden. Sie üben Bogenschiessen und begutachten die kleinen Hütten.
Für uns ist es an der Zeit zu gehen. NO-NO-NO und I-A-I-A begleiten uns zum Auto. Wir bieten ihnen Wasser an. Die 1,5 Liter trinkt NO-NO-NO in einem Zug aus.
Tief beeindruckt von dem Erlebten fahren wir zurück zu unserer Unterkunft. Ich habe schon viele Kulturen und Lebensweisen kennengelernt, aber keine war so faszinierend wie die der Hadzabe.

Über die Autorin und Fotografin
Sandra Weller ist Fotografin und Reisejournalistin. Seit 20 Jahren bereist sie mit ihrer Kamera die Welt und engagiert sich für Themen rund um den Umweltschutz. Ihre Reisen brachten sie schon in die entlegensten Ecken der Welt. Manchmal blieb sie länger – in Tansania war sie 2 Monate. Jetzt lebt sie in Frankfurt. Die Kulturen der Datoga und der Hadza haben sie tief beeindruckt.
















